Sonderbare Sippenhaft

Durch meine Blindheit bin ich daran gewöhnt, in verschiedensten Kontexten fehleingeschätzt und daraufhin auch falsch behandelt zu werden. Eine besonders nervige und offenbar auch sehr persistente Form fällt mir in letzter Zeit zunehmend unangenehm auf. Mindestens die halbe Welt scheint seit fast vier Jahren nicht zu verstehen, dass der Engländer und ich kein Paar mehr sind und nicht mehr zusammen wohnen. Ständig bezeichnen Leute Arzu, meine Blindenführhündin, die ich schon hatte, bevor wir uns kannten, als „seinen Hund“, sagen bei ersten Begegnungen mit Mr. T.Rubble Dinge wie „Habt ihr einen neuen Hund adoptiert?“, „was macht ihr dann und dann?“ oder fragen mich nach Ereignissen, bei denen ich gar nicht dabei war und von denen ich oft nichteinmal weiß. Sie wundern sich, den Engländer nicht ständig bei mir anzutreffen und tun so, als könnten sie einfach jederzeit hier vorbeischneien, weil sie irgendetwas von ihm wollen, nur, um dann festzustellen „Ach, er ist nicht zu Hause“. Nein, er ist hier sowieso nicht zu Hause, er wohnt hier nicht!

Von uns penetrant immer im Plural zu sprechen, als gehörten wir untrennbar zusammen, als wären wir eine Einheit und als gäbe es gar nicht die Möglichkeit, dass wir nicht alles gemeinsam tun, fühlt sich an wie eine krasse Misachtung unserer jeweils eigenständigen Lebensinhalte und Interessen. Selbst, wenn wir ein Paar wären, könnten wir durchaus unabhängig voneinander Dinge unternehmen oder von irgendetwas keine Ahnung haben, was die oder den Anderen betrifft. Aber wir sind nichteinmal zusammen und agieren ziemlich unabhängig, auch wenn wir uns häufig zum Spazierengehen treffen und Menschen uns daher auch zwangsläufig oft zusammen sehen. Dass Menschen sich eine Freundschaft nach dem Ende einer Liebesbeziehung nicht vorstellen können, ist ja leider nicht neu. Für mich fühlt es sich zusätzlich jedes Mal so an, als würden mir die Leute nicht zutrauen, dass ich alleine Lebe und ein unabhängiges Individuum bin.

Alle diese Menschen haben mehr oder minder am Rande mitbekommen, dass wir uns 2020 getrennt haben, dass der Engländer umgezogen ist, dass ich eine Zeit lang eine Mitbewohnerin hatte. Auf Nachbarschaftsfesten und bei Welthaus-Veranstaltungen war ich oft genug ohne ihn und habe den meisten Menschen auch schon mehrmals erzählt, dass wir nur noch befreundet sind und er nicht mehr bei mir wohnt. Und trotzdem – ständig wird so getan, als wäre das alles nie geschehen und als wäre jeder Versuch der Richtigstellung und jede Bemerkung von mir über unsere fast vier Jahre zurückliegende Trennung eine reine Gehässigkeit ihm gegenüber und der Versuch, ihn zu diskreditieren, ihm eins auszuwischen oder halt irgendwie einfach gemein und unnötig. Dabei möchte ich nur einen Irrtum aufklären und als eigenständige Person wahrgenommen werden.

manchmal höre ich dann „Ach, Männer sind halt so“, „Ich kenne das, sei doch geduldig mit ihm“ und Ähnliches. Das geht aber völlig an der Realität vorbei. Wir haben uns getrennt, ich muss ihn nicht mehr ertragen und erdulden, all seine Eigenheiten, vor allem die schwierigen, die mich genervt und belastet haben, darf er gerne ohne mich ausleben. Ich muss weder Geduld noch Verständnis haben – ich muss sowieso überhaupt nichts – ich kann einfach meine Tür zu machen, wenn es mir reicht. Ich muss auch nicht tolerieren, dass er mein Haus mit Chaos überzieht, denn es ist mein Haus und nur Arzu und ich wohnen hier, so dass auch nur ich bestimme, wer hier was wo hin räumt oder an was herumschraubt. Mir zu sagen,, ich solle das aushalten, ist eine Frechheit und ein großer Unsinn.

Das soll alles nicht heißen, dass er mir als guter Freund nicht wichtig wäre oder dass ich es überhaupt nie und in keinem Zusammenhang mit ihm aushielte. Natürlich treffen wir uns, er bringt mir gerettete Lebensmittel, wir gehen spazieren oder er repariert Dinge für mich, die er selber vor Jahren mal gebaut hat und die halt Teil meines Hauses oder Gartens sind. Aber nur, weil es diese freundschaftliche Ebene gibt, muss das doch nicht immer auf alle Lebensbereiche ausgedehnt und verallgemeinert werden.

Stelle ich mich an? Nehme ich das alles zu ernst und sollte die Leute reden lassen? Ich bin mir wirklich unsicher, denn mich beeinträchtigt das durchaus und ich möchte, dass die Leute mich nicht ständig in die falsche Schublade stecken. Dieses Bedürfnis halte ich für legitim, aber viel zu oft stoße ich damit auf Unverständnis. Es kann doch aber nicht sein, dass ich gegen meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse erst eine neue Partnerschaft eingehen muss, nur, damit die Leute aufhören, mich als reines Anhängsel des Engländers zu betrachten. Ich habe ja verstanden, dass die Leute mir nicht zutrauen, dass ich ein Haus gekauft und eine Sanierung organisiert habe. Das ist mir in unzähligen Situationen unter die Nase gerieben worden, weil Menschen so oft Dinge gesagt haben, aus denen mir sehr deutlich entgegensprang, dass sie alle möglichen Leute für verantwortlich hielten, aber ganz sicher nicht mich. Aber wieso ist sogar die Tatsache, dass eine Frau mit Behinderung alleine lebt und keinen ständigen Aufpasser hat, so unglaublich und ungewöhnlich für viele Menschen?

17 Gedanken zu “Sonderbare Sippenhaft

  1. All English Matters sagt:

    Just to confirm that we are definitively not a pair! In fact, it’s amazing that we have managed to maintain a friendship considering how different we are. My world is chaotic, too mad for many people, but especially for Lea as she needs to have order around her. Arzu knows this and gets out of harm’s way, but poor old Akiro was clueless. He alway placed himself where Lea would trip over him. And that was just my dog, never mind me!

    Gefällt 1 Person

    1. kommunikatz sagt:

      Der richtige Abstand machts möglich 🙂 Solange wir nicht dauernd
      zusammenhängen und ich Dich rausschmeißen kann, wenn es mir zu viel
      wird, ist alles gut und ich schätze Dich wirklich sehr. Du wirst nur
      leider schnell zu viel, eben weil Du eine Menge Chaos mitbringst. Aber
      ich finde, damit haben wir einen sehr guten Umgang etabliert 🙂

      Gefällt 1 Person

      1. All English Matters sagt:

        I’ve always lived and loved chaos on the edge of order. It’s the place where life is most interesting. Like when the sun breaks out from behind a cloud, or a whirlpool forms in a fast-flowing stream. That’s where you’ll find me playing.
        As for us, yes, we have acheived a rare feat: friendship after having been through so much. Remember Amsterdam? Remember sailing Zuid-Wester? Yes, we have done a lot, but we had to discover how our highly differing lifestyles are a hinderence to being together. Perhaps we now have something better, which I hope will stand the test of time, but with a distance of about 10km and a country border!

        Gefällt 1 Person

      2. kommunikatz sagt:

        Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen 🙂 Ja, ich glaube, es ist
        wirklich gut so, wie es ist. Und ich fände es durchaus schön, mehr an
        Deinem Chaos partizipieren zu können, denn ich verstehe den Reiz dessen
        total gut und ich hätte auch gern ein bunteres, spannenderes Leben. Nur
        macht es mich leider wahnsinnig und erschwert mir den Alltag, deshalb
        kriege ich das leider nicht hin.

        Gefällt 1 Person

  2. Christiane sagt:

    Ich möchte dich und euch darin bestätigen, was ihr lebt. Ich kenne/kannte das auch – getrennt und dennoch befreundet. Er blieb eine feste Konstante in meinem Leben und ich in seinem, und auch bei uns haben das neue Partner*innen sehr misstrauisch zur Kenntnis genommen. Ich habe bisher wenige Menschen kennengelernt, die das so leben konnten, aber okay, das ist nicht mein Problem 😉
    Herzliche Nachmittagskaffeegrüße! 🌧️🎄☕🍪

    Gefällt 3 Personen

    1. kommunikatz sagt:

      Es scheint auch echt nicht viele Menschen zu geben, die das können oder
      wollen. Ich glaube, die Meisten kommen einfach gar nicht auf die Idee,
      dass es total schön sein kann, einen Menschen, zu dem mensch einmal
      großes Vertrauen aufgebaut hat und zu dem es einfach eine große Nähe
      gibt, trotz etwaiger Verletzungen oder Konflikte weiter wertzuschätzen
      und sich die Aspekte der Beziehung zu erhalten, die eben gut und
      angenehm waren. Für Viele gibt es entweder ein komplettes Ende oder ein
      Weitermachen wie bisher. Dass es auch einen Weg dazwischen gibt, der
      richtig schön und positiv sein kann, ist im Weltbild der meisten Leute
      nicht vorgesehen. Aber ich kenne mehrere löbliche Ausnahmen und jetzt
      mit Dir eine Weitere, was mich sehr freut 🙂

      Gefällt 3 Personen

  3. puzzleblume sagt:

    Upps… Ich wollte doch noch nicht absenden!
    Ob mit Handicap oder ohne haben Frauen nicht allein zu bleiben, außer jenseits der 60, als Witwe. Vorher wird niemand von dummen und dreisten Fragen oder ungewollten Vorschlägen verschont.
    Mit einem Expartner befreundet zu bleiben, weil man einen gangbaren Weg gefunden hat, ist auch meine Vorstellung von reifem Umgang, aber ich kenne auch fast nur die andere Auffassung, dass sich Expartner entweder bekriegen oder noch „irgendwas voneinander wollen“ – seltsamerweise denken hauptsächlich die „Kriegführer“ so. Vielleicht hilft es ihnen, ihr unreifes Verhalten zu entschuldigen?

    Gefällt 1 Person

    1. kommunikatz sagt:

      Klingt plausibel, stimt. Sehr viele Menschen agieren vermutlich auch so,
      weil sie es für „normal“ und gesellschaftlich erwünscht halten, da gibt
      es feste Bahnen und Schemata und nicht wirklich Platz fürindividuelle
      Lösungen und eigene Ideen. Solche Leute kenne ich auch mehr als genug.

      Gefällt 1 Person

  4. Rosa sagt:

    Da bin ich wohl auch eine Ausnahme. 😉 Mein Mann, von dem ich mich 1997 trennte und der leider schon 2005 starb, war auch nach der Trennung mein bester Freund. Er war ein wunderbarer Mensch und fehlt mir sehr …
    Alles Liebe und einen gutes neues Jahr wünsche ich. 💕
    Rosa

    Gefällt 1 Person

    1. kommunikatz sagt:

      Bald können wir einen Club der Ausnahmen aufmachen 🙂 Es ist auf jeden
      Fall schön, dass es mehr Menschen gibt, die eine einmal geliebte Person
      auch nach Ende der Liebe noch wertschätzen und ihr freundschaftlich
      verbunden bleiben können. Blöd gesprochen, ist es ja auch alles Andere
      als nachhaltig, einen wertvollen Menschen sofort komplett aus dem
      eigenen Leben zu werfen, nur weil ein bestimmter Ansatz nicht
      funktioniert hat. Auch nach fast 20 Jahren sende ich Dir mein Beileid,
      dass Du ihn dann auf eine andere Art doch so ganz verloren hast.
      Erinnerungen verliert mensch ja letztlich nie.
      liebe Grüße,, komm gut ins neue Jahr!

      Gefällt 1 Person

  5. Tanja sagt:

    Ich vermute, auf Beobachtungen fußend, dass sehr viele Menschen aus Angst vor dem Alleinsein in Beziehungen bleiben, die ihnen nicht guttun. Die Situation wird für alle Beteiligten immer unerträglicher und irgendwann sind nur noch Verbitterung und Hass übrig. Daraus lässt sich dann logischerweise keine Freundschaft mehr etablieren.

    Auch heute noch wird Frauen eher nicht zugetraut, ihr Leben allein zu meistern und schon gar nicht, wenn sie behindert sind. Ich erzähle ja immer allen, dass du eine große Tetrismeisterin bist und durch geschicktes Umräumen selbst im vollsten Gefrierschrank noch Platz schaffen kannst, wo ich gucke und dann sage, da passt nichts mehr rein. Außerdem kannst du die akuratesten Brotscheiben schneiden und ich erinnere an die Teekanne in deinem Schrank, von der mehrere Sehende behauptet haben, sie sei nicht da und du hast sie dann gefunden. Auch den Badezimmerschrank hast du fast oder sogar ganz allein zusammen gebaut. Ich glaube, Robert hat ihn dann nur noch aufgehängt.

    Gefällt 1 Person

    1. kommunikatz sagt:

      Das ist richtig 🙂 Fürs Möbelaufbauen habe ich tatsächlich einen Ruf,
      weil ich das schon immer als spannendes Puzzle betrachtet habe und immer
      abwinke, wenn mir jemand Bauanleitungen vorlesen will 🙂 Ich bin
      definitiv lebenstüchtig und habe, wie jeder andere Mensch auch, meine
      Stärken, aber halt auch meine Schwächen.
      Das mit den Beziehungen, in denen Leute zu lange verweilen, stimmt
      absolut. Aber auch beim Engländer und mir gab es eine lange Phase des
      Auseinanderdriftens und der gegenseitigen Frustration. Wir haben danach
      bloß trotzdem die Kurve zur Freundschaft gekriegt. Deshalb macht mich
      das ja so stolz und zufrieden, denn es hätte durchaus anders laufen
      können und tut das bei den meisten Menschen eben tatsächlich auch.

      Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..