Frustrierender Februar oder mit Sprühsahne gegen Schwurbel

Es ist Frühling, die Natur erwacht, die Temperaturen steigen auf ein sehr angenehmes Mittelmaß, die Infektionszeit geht langsam zuende, ich bin übers Jahr betrachtet auf dem Zenit meiner Leistungsfähigkeit und traue mich sogar einigermaßen Angstfrei unter Menschen. Das ist schön, führt aber, wie jedes Jahr, zu viel zu vielen Projekten, Aufgaben und Verpflichtungen, weil ich ja kann und deshalb auch will. Überlastung und Überforderung sind vorprogrammiert, da helfen auch die vielen leckeren Dinge nicht, die der Engländer in letzter Zeit containert hat. Wobei Sprühsahne sich perfekt als Nervennahrung eignet, die mensch sich ohne Sauerei einfach direkt in den Mund sprühen kann, wenn nerviger Scheiß einen am Schreibtisch festklebt.

Nach der ersten Großdemo gegen Rechts am 20. folgte eine zweite, noch größere, am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag. Mehrere Sitzungen des Runden Tischs gegen Rechts der Stadt Aachen, an dem ich für den Aachener Friedenspreis e.V. teilnehme, waren für mich der einzige Aufwand drumherum, ansonsten machte der Aachener Friedenspreis aber ordentlich Arbeit. Wir befinden uns, wie immer im ersten Quartal, in der Auswahlphase der Preisträger*innen für das laufende Jahr und diesmal hatte auch ich zweieinhalb eigene Vorschläge auszuarbeiten. Eine mehrtägige Veranstaltung aus dem Bereich Leichte Sprache und meine Teilnahme am Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau am 19. Februar vor vier Jahren hatte ich u.a. deshalb schon sausen lassen, denn ich merke inzwischen zumindest relativ früh, wenn die Überforderung Anlauf nimmt.

Das half mir allerdings nicht, zeitgleich nahm nämlich im Welthaus ein eigentlich schon seit Jahren laufendes Ärgernis Fahrt auf. Es ging um die Nutzung unserer Veranstaltungsräume durch zwei querfrontlerische Schwurbelgruppen, von denen eine Welthausmitglied ist, die andere seit der Pandemie Mietverbot hat. Beide Gruppen verstoßen durch wissenschafts- und menschenfeindliche Statements und Verhaltensweisen (Klimawandelleugnung, Pandemieverharmlosung, Antisemitismus und Holocaustrelativierung durch „Ungeimpft“-Judensterne und „Impfen macht frei“-Demotranspis, Putin-Fandom, AFD-Nähe und wortgleiche Übernahmen von RTde-Artikeln) seit Langem gegen die Grundsätze und Ziele des Welthauses und schädigen durch ihre öffentlichen Veranstaltungen unseren Ruf. Die Gruppe mit dem Mietverbot hielt sich nicht an Pandemieregeln und arbeitete zudem sehr eng bis zur personellen Verschmelzung mit dem Aachener Ableger von Querdenken zusammen. Dass sich das Welthaus mit dieser Melange nicht gemeinmachen wollte, war zu Hochzeiten der sog. Hygienedemos Mitte 2020 glücklicherweise unstrittig.

Mit der Mitgliedsgruppe ist es schwieriger, da es zwischen der früher mal unverfänglichen und politisch wie inhaltlich zum Welthaus passenden Gruppe und Teilen des aktuellen Welthaus-Vorstands alte Freundschaften und Loyalitäten aus früheren, gemeinsamen Kämpfen gegen Atomkraft etc. gibt. Der Vorstand kann sich daher trotz aller satzungsmäßigen Möglichkeiten nicht durchringen, diesen Leuten, die sich heute denkbar weit von ihren früheren Themen entfernt haben, Einhalt zu gebieten. Dass es ein Problem gibt, gestehen sie ein, aber dass wir handeln müssen, weil der Ruf des Welthauses auf dem Spiel steht, sehen sie überhaupt nicht. Stattdessen werde ich als Diejenige, die immer wieder darauf hinweist, implizit als zu empfindlich und das eigentliche Problem behandelt, was sich nicht besonders gut anfühlt.

Die Gruppe mit dem Mietverbot dachten wir, durch eben jenes längst los zu sein. Veranstaltungsanmeldungen der Mitgliedsgruppe waren selten und meist nur so grenzschwurbelig, dass wir sie bisher nie rechtzeitig registrieren und verhindern konnten, aber die Gruppe ist halt auch Mitglied und hat formal ein Recht auf die Räume. Nach einer Lesung eines kremlnahen Autors, organisiert und angekündigt von der Mitgliedsgruppe, sollte eine Woche später ein Diskussionsabend über die neuen Pläne der WHO folgen, aus Schwurbelsprech übersetzt also so viel wie „Warum die WHO böse ist und uns durch Impfungen Alle töten will“. In den Wochen vor den beiden Veranstaltungen trudelten recht viele Beschwerdemails bei mir und dem Vorstand ein, aus denen sehr deutlich wurde, dass zahlreichen Menschen diese und ähnliche Veranstaltungen ein Dorn im Auge sind. Diese Mails tat der vorstand meinem Eindruck nach jedoch als inszenierten Shitstorm ab und warf mir vor, ich hätte die Leute aufgestachelt oder die teils wortgleichen e-Mails kämen alle nur von einer Person mit unterschiedlichen e-Mail-Adressen.

Die Lesung des Putinfans hörten ein Vorstandsmitglied und ich uns an. Inhaltlich war es bilderbuchmäßig und die Créme de la Créme der Aachener Schwurbelszene war vertreten. Mir war klar, dass sowas im welthaus nicht geht, das Vorstandsmitglied meinte nur, im Publikum seien doch nur alte Leute gewesen, keine Nazis, was sollten die schon Schlimmes anstellen? Dass es nicht um diese konkreten Leute und nicht um Nazis in Springerstiefeln und Bomberjacken sondern um die Normalisierung eines nach rechts anschlussfähigen Diskurses sowie Propaganda eines autokratischen Kriegsverbrechers ging und darum, ob das Welthaus mit einem solchen Diskurs verknüpft sein sollte oder nicht, wurde nur damit gekontert, mensch dürfe doch über alles diskutieren und das Welthaus sei schließlich ein offener Ort für Meinungsfreiheit.

Der WHO-Diskussionsabend wurde von der Mitgliedsgruppe und der Gruppe mit dem Mietverbot gemeinsam angekündigt und beworben, es war also klar, dass das Mietverbot hier greifen musste. Die Mietanfrage hatte die Mitgliedsgruppe noch allein gestellt, die Beteiligung der anderen Gruppe war also vor dem Werbestart nicht offensichtlich gewesen und der Vermietungsmitarbeiterin kann ich daher nichts vorwerfen. Ich ließ mir das Mietverbot nochmal explizit von einem Vorstandsmitglied bestätigen und sagte den beiden Gruppen die Nutzung der Welthaus-Aula für besagte Veranstaltung mit einer Woche Vorlauf ab. Vom Vorstand erwartete ich keinerlei Rückendeckung, hatten sie mir diese doch auch schon vorher nicht gewährt. Meine Bitte, sie sollten doch selbst auf die vielen Beschwerdemails (u.a. vom Vorstand des Aachener Friedenspreis e.V., dem ich angehöre) antworten, weil ich befangen sei, hatten sie einfach ignoriert.

Nach der Absage folgten die erwartbaren Beschwerden der beiden Gruppen mit Androhung einer Verleumdungsanzeige, die ich jedoch nicht ernst nehme, da Verleumdung nur dann als solche gilt, wenn sie öffentlich stattfindet. Meine e-Mail mit dem Vorwurf der Wissenschafts- und Menschenfeindlichkeit war jedoch nur an zwei Personen gegangen, öffentlich gemacht hatten diese sie erst selbst, indem sie sie inklusive all meiner Kontaktdaten an über 300 Leute aus ihrem Gefolge weitergeleitet und in ihrer Online-Postille zitiert hatten. Diese Weiterleitung sollte uns wohl einen weiteren Shitstorm bescheren, jedoch blieb es bei einem lauen Lüftchen von fünf oder sechs e-Mails. Einer der Oberschwurbler rief mich an und erklärte, ich hätte doch keine Ahnung und durch die Impfung seien tausende Menschen gestorben. Der einzige weitere Anruf kam von einer Institution, die die beiden Gruppen wegen eines Ersatzraums für ihren Diskussionsabend angefragt hatten. Der Mensch hörte sich interessiert an, warum das Welthaus die Raumnutzung untersagt hatte, und sicherte mir empört zu, dass er ihnen unter diesen Umständen selbstverständlich auch keinen Raum vermieten würde. So hatten sich die Gruppen durch das breite Streuen meiner Absagemail also selbst geschadet.

Der Diskussionsabend fand an einem anderen Ort statt, wir nutzten derweil unsere Aula für ein Antischwurbel-Vernetzungstreffen. Vom Vorstand kam niemand. Bereits ein paar Tage zuvor hatte eine Oma gegen Rechts und Schwurbelgegnerin aus dem Kreis meiner Verbündeten auf einer Welthaus-Vorstandssitzung ein Impulsreferat darüber gehalten, warum solche Veranstaltungen, die betreffenden Gruppen und das Argument der Meinungsfreiheit problematisch sind, nämlich wegen Poppers gutem, alten Toleranzparadoxon „Keine Toleranz den Intoleranten“. Die Sitzung uferte in ein Tribunal gegen meine Bekannte und mich aus, die vernünftigen Vorstandsmitglieder bekamen die Zähne nicht auseinander, die übrigen erklärten uns in aufgebrachtem Ton, warum sie das Alles unproblematisch fänden und wir das wahre Problem seien. Für mich war der Abend unsäglich anstrengend und frustrierend, redete ich mir doch seit über drei Jahren den Mund fusselig, offensichtlich ohne jeden Effekt. Meine Bekannte war etwas optimistischer, immerhin sei doch ein Gespräch in Gang gekommen. Nur fortgesetzt wurde es seitdem halt nicht und ich bin mir auch sehr unsicher, ob das irgendwem nützen würde.

Ich nahm mir eine Woche Urlaub – es ging einfach nicht mehr und ich brauchte Abstand von dem Haufen. Die zum Glück recht ereignislose Woche kulminierte in der nächsten Demo gegen AFD und Co., aber leider war das kein Motivationsschub sondern nur noch eine zusätzliche Enttäuschung. Statt der erst 10.000 und dann 20.000 Demonstrierenden Ende Januar kamen diesmal nur 1.500. Das aufrufende Bündnis hatte alle Parteien und -gliederungen rausgeworfen und sich im Aufruf nicht nur gegen die AFD sondern auch gegen weite Teile der aktuellen Regierungspolitik gestellt. Diese ist zwar tatsächlich an vielen Stellen kritikwürdig, aber diese Kritik verwässert und spaltet den Einsatz gegen Rechtsextremismus und nimmt sehr viele konservative und mittige Kräfte gar nicht mehr mit. Gegen die AFD brauchen wir ein denkbar breites, gesamtgesellschaftliches Engagement all Derer, die auf dem Boden der Demokratie stehen, um Antidemokrat*innen entgegenzutreten. Sich im Klein-klein von Protest gegen einzelne Verfehlungen der in den gegenseitigen Blockaden einer unseeligen Dreierkoalition gefangenen Ampelregierung zu verlieren, ruiniert jedes breite Bündnis. Gemeinsamkeiten zu betonen statt Differenzen hochzujazzen wäre das Gebot der Stunde gewesen, aber leider funktionierte das diesmal überhaupt nicht. Dass sich das Bündnis ausgerechnet für den Termin 24. Februar und somit den zweiten Jahrestag des völkerrechtswidrigen Angriffs Putins auf die Ukraine entschieden hatte, obwohl das erstens pietätlos und zweitens für Viele schlicht eine stressige Terminkollision ist, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.

Hinter diesen frustrierenden Februar möchte ich also jetzt gerne ganz bald einen dicken Haken machen und hoffen, dass der März erträglicher oder vielleicht sogar ein bisschen positiv wird, aber noch wage ich das nicht. Zu Vieles wird nach meinem Urlaub, also morgen, wieder genauso weitergehen, wie es vor einer Woche endete. Gebracht hat das alles nicht allzu viel, aber immerhin wisst Ihr jetzt, warum es hier einen Monat lang so ruhig war.

PS: Natürlich haben die genannten Gruppen Webseiten und ich könnte auch das Vollzitat meiner Absagemail im Zentralorgan der Aachener Schwurbelszene verlinken, aber ich möchte diesen Dudes keine Öffentlichkeit schenken und nicht zur Verbreitung ihrer Inhalte beitragen. Außerdem bekommen sie dann möglicherweise eine Pingbenachrichtigung über den gesetzten Link und stoßen dadurch erst auf meinen Beitrag hier. Im onlinegestellten Zitat meiner Mail haben sie die Signatur mit den Kontaktdaten netterweise nicht veröffentlicht, die war nur in der weiterleitung an den riesigen Verteiler enthalten.

5 Gedanken zu “Frustrierender Februar oder mit Sprühsahne gegen Schwurbel

  1. puzzleblume sagt:

    Liebe Lea, du bist grossartig, stark und mutig, dass du dich gegenüber soviel naiver Ignoranz gegenüber den gefährlichen Gesinnungen „alter Verbündeter“ so tapfer aufrecht hältst!
    Von solcher Realitätverweigerung und lernresisitenter überkommener Solidarität und sogar in Diskussionen platzender Freundschaften höre ich hier auch immer häufiger.
    Ich dachte schon, Corona bot in der Hinsicht einiges an Überaschungen, aber nun kommen faschistische Neigungen, prorussische Sentiments und radikalisierte Landwirtsaktionen auch noch dazu, um altgewohnte Gesprächsrunden auseinanderzutreiben. I
    ch habe auch in den Blogs immer häufiger das Gefühl Geschriebenes mehr zu beargwöhnen und gelegentlich meine Abos zu hinterfragen, um keine Meinungen zu unterstützen, die ich nicht befürworte.
    Für den Erhalt deiner Energien wünsche ich dir das Allerbeste und dass dein momentan so wenig unterstützende Umfeld bald zu mehr Verständnis findet.

    Gefällt 3 Personen

    1. kommunikatz sagt:

      Vielen Dank! An anderer Stelle habe ich durchaus ein unterstützendes
      Umfeld, insofern bin ich nicht ganz allein auf verlorenem Posten, aber
      was den ganz konkreten und relativ in sich geschlossenen Welthauskosmos
      anbelangt, fühle ich mich tatsächlich etwas alleingelassen.
      In der Pandemie habe ich mich noch gefreut, dass niemand aus meinem
      nahen Umfeld abgedriftet ist, aber jetzt, wo auch die weiteren Umfelder
      eben wieder relevant werden, weil die Menschen nicht mehr auf ihre
      Mikrokosmen reduziert sind, drängt sich der ganze Ärger wieder überall
      rein. Und auch ich bin sensibler für Zwischentöne geworden, lese mehr
      zwischen den Zeilen und höre sehr genau hin. Je mehr Krisen uns umgeben
      und je mehr Bereiche es gibt, in denen Menschen seltsame Ansichten haben
      und äußern können, umso vorsichtiger und aufmerksamer wird mensch wohl.
      Das ist ein bisschen anstrengend und dieses dauernde, unterschwellige
      Mistrauen entfernt Menschen etwas weiter voneinander,aber wenigstens
      werden Kriterien und Grenzen (mir) immer klarer und ich fühle mich gut
      gewappnet.
      In Bezug auf meinen Beitrag oben frage ich mich allerdings ein bisschen,
      ob es Chuzpe oder Leichtsinn/Dummheit ist,ihn so zu veröffentlichen.
      Alle Beteiligten können sich darin wiedererkennen, wenn sie wollen, und
      mir dafür in irgendeiner Weise aufs Dach steigen. Ob das
      arbeitsrechtlich doof werden kann, weiß ich nicht, aber a) guckt von den
      Leuten niemand hier rein obwohl sie b) wissen, dass es mein Blog gibt
      und c) beschreibe ich nur, was passiert ist und unterstelle niemandem
      irgendetwas oder stelle sonst irgendwelche Falschbehauptungen auf. Gegen
      einen subjektiven und klar als das erkennbaren Bericht sollte
      hoffentlich niemand etwas haben.
      Liebe Grüße und danke für Deine Solidarität!
      Lea

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  2. Tanja sagt:

    Liebe Lea,

    ich bin wirklich entsetzt. Schade, dass ich umgezogen und nicht mehr im Vorstand bin, dann wären wir immerhin zu zweit.

    Liebe Grüße und fühle dich ganz dolle gedrückt

    Tanja

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