Burnout ist ein großes Wort

Die ganze letzte Woche war ich unglaublich gestresst und kaputt. Es fühlte sich wahlweise an wie Long Covid, nur dass ich nach allem menschlichen Ermessen kein Covid gehabt hatte, oder wie die Fatigue bei einem akuten MS-Schub, aber ohne eine konkrete Gefühlsstörung wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle irgendwo. Die Erschöpfung baute sich langsam auf. Beginnend am letzten Wochenende war es anfangs noch einfache MÜdigkeit, die ich auf hohe Arbeitsbelastung, zu viele Baustellen gleichzeitig und ein paar Nächte schlechten Schlaf zurückführte – also das Übliche halt. Das aprilhafte Wetter mit seinen Temperaturschwankungen vom Gefrierpunkt bis zu fast 20°C tat vermutlich sein Übriges. Im Laufe der Woche wurden meine Beine immer schwerer, meine Gedanken immer zäher und der Nebel im Kopf bremste jedes konzentrierte Arbeiten aus. Am schlimmsten war aber, wie üblich bei solchen Befindlichkeiten, die krasse Verunsicherung. War das ein Schub? Würde ich am nächsten Tag postwendend ins Klinikum verschwinden? Schon letzten September hatte das MRT einen damals tatsächlich aktiven Entzündungsherd gezeigt, von dem ich aber nichts merkte. Es liefen also Dinge unter der Oberfläche ab und es hätte total Sinn ergeben, wenn diese Dinge sich nun auch in Symptomen manifestiert hätten.

Praktischerweise hatte ich vorletzten Freitag wieder die inzwischen halbjährliche MRT-Untersuchung zur Verlaufskontrolle meiner MS gehabt. Am darauffolgenden Montag rief mich die Praxis meiner Neurologin an und bestellte mich für Donnerstag zur Nachbesprechung ein. Es sei nichts Schlimmes, aber es gäbe den Bedarf, nochmal über meine Medikamente zu sprechen. Das reduzierte nicht gerade meine Panik vor einem Schub und ich war mir beinahe sicher, dass mein aktueller Zustand etwas mit einem aktiven Entzündungsherd zu tun haben musste.

Am Dienstag ging ich nicht ins Büro und sagte meine Teilnahme an der Welthaus-Vorstandssitzung ab, die ich normalerweise als Geschäftsführerin organisatorisch begleite. Gefühlt sehr viele Welthaus-Dinge blieben liegen, obwohl Ende MÄrz diverse Fristen ablaufen. Am Mittwoch wünschte ich mir nichts sehnlicher, als meine Ruhe zu haben und alle Verantwortung an Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen abgeben zu dürfen. Abends stand die Wahl der diesjährigen Fünferliste zur Vorauswahl für den Aachener Friedenspreis an, die aufgrund des komplexen Wahlprozederes immer in Präsenz stattfindet. Wir bekamen eine hybride Lösung hin, bei der ich telefonisch zumindest mit abstimmen konnte und das Ergebnis hätte wahrscheinlich auch ohne mich genauso gut ausgesehen, wie es letztlich ausfiel. Aber das Gefühl, an allen Fronten zu versagen und meinen Verpflichtungen nicht gerecht zu werden, saß dennoch tief. Schon in den Wochen zuvor hatte ich Dinge, die mir wichtig waren und die ich vorangetrieben hatte, nicht geschafft oder mich ohne ein befriedigendes Ergebnis daraus zurückgezogen, einfach, weil ich nicht mehr konnte.

Das Gespräch mit der Neurologin am Donnerstag um 8 Uhr morgens, das ich erstaunlich wach und ausgeschlafen absolvierte, ergab, dass meine diffusen Symptome nicht zu einem akuten Schub passten und dass es keinen Entzündungsherd gab, der diese erklären würde. Also passierte das, was ich schon hatte kommen sehen und was bei mir in solchen Situationen Standard ist: Sobald mir eine Autorität bzw. eine Person mit mehr Ahnung als ich selbst erklärt, dass meine Beschwerden kein Drama anzeigen, geht es mir prompt besser. Die Verunsicherung war weg, die Einschätzung fiel leichter, die Panik ebbte ab. Da war es auch gar nicht so tragisch, dass sie wegen einiger neuer Läsionen nun doch die Medikamentenumstellung empfahl. Sie hatte ja Recht und ich erfüllte alle Kriterien für die nächste Eskalationsstufe, also her mit der fucking Immunsuppression. Bald geht es los, ich werde berichten.

Ich hatte die Überlastung vorher gespürt, irgendwie war mir unterschwellig durchaus klar gewesen, dass ich mich überfordert und selbst in diese Situation gebracht hatte. Aber das auf dem Weg in den Zusammenbruch zu merken, reicht leider nicht aus, um den Zusammenbruch zu verhindern. Ich müsste zum richtigen Zeitpunkt Grenzen setzen und mir Aufgaben vom Hals schaffen, bevor mich die Fatigue ausbremst. Das Pacing, also die Einteilung der eigenen Kräfte und das Bewusstsein über die eigenen Grenzen und das aktive Verhindern von deren Überschreitung, das bei Long Covid empfohlen wird, würde auch mir sehr helfen – wenn ich denn in der Lage wäre, die Frühwarnsignale meines Körpers richtig zu lesen. Und wahrnehmen kann ich sie ja sogar,, nur darauf zu reagieren und mich rechtzeitig zu schonen, fällt mir unsäglich schwer.

Offensichtlich bin ich viel zu hart zu mir selbst. Verpflichtungen und eigene Ansprüche gehen mir über alles, jeder Rückzug, jeder Selbstschutz und jedes Signal von Überforderung treiben mich nur an, noch mehr reinzubuttern und mich noch mehr zu überfordern. Ich kann nicht eingestehen, wenn Dinge mir zu viel werden. Und im Grunde ist das leider logisch. Ich bin mit dem Glaubenssatz aufgewachsen, immer 150% leisten zu müssen und dann immernoch nicht gut genug zu sein. Alles so gut und so gründlich zu machen, wie die nicht behinderten und nicht chronisch kranken Menschen um mich Herum, war immer mein Ziel und Anspruch an mich selbst. Seit der Grundschule wurde mir auch nichts Anderes vermittelt, ob von meinen Eltern, Lehrerinnen und Lehrern oder anderen Personen, die es ja alle besser wissen mussten als ich. Mein intrinsischer Ableismus und der Beweisdruck, so gut und leistungsfähig zu sein, wie die nicht eingeschränkten Menschen, bringen mich immer wieder an den Rand des Zusammenbruchs. Aber für echte Zusammenbrüche bin ich dann doch immer zu resilient. Weder ich selbst noch mein Umfeld bekommen dadurch einen ultimativen Schuss vor den Bug, immer kann ich die Situation noch irgendwie retten, bevor ich gänzlich abschmiere.

Wieso warte ich immer, bis der Leidensdruck unerträglich wird, und dann bekomme ich es doch noch irgendwie hin und niemand merkt, wie knapp es war? Wieso kann ich in Gesprächen, egal ob mit Ärzt*innen oder Menschen aus meinem privaten Umfeld, nie zugeben, wie fertig ich wirklich bin? Immer halte ich das Bild aufrecht, schauspielere die heile Welt und gebe einfach nicht zu, dass ich am Ende bin, dass ich keine Kraft und keinen Willen mehr habe, mit diesem ganzen Mist weiterzumachen.

Menschen benutzen das Wort Burnout, wenn ich beschreibe, wie es mir geht. Die Psychiaterin, bei der ich kürzlich war, sagte,, ich solle mir überlegen, welche der vielen Aufgaben, die ich übernommen habe, ich am ehesten abgeben will, weil ich gar keine Kapazitäten habe, mir mehr positive Dinge in mein Leben zu holen, wenn die Zeit komplett mit Arbeit und Pflichten angefüllt ist. Das alles gibt mir zu denken und ich werde wohl Einiges umwerfen und umstrukturieren müssen. Ideen gibt es schon, die Psychiaterin hat mir mehr sinnvolle Dinge gesagt und mich auf mehr Lösungswege gebracht, als meine Psychotherapeutin zuvor in einer anderthalbjährigen Therapie. Also fange ich jetzt an, mein Leben zu entrümpeln und mich mehr auf Lebensqualität und nicht ausschließlich auf Pflichterfüllung zu konzentrieren. Eigentlich hatte ich das zu Jahresbeginn ja schonmal beschlossen, aber langsam wird mir der Weg endlich klarer.

PS: Falls dieser Text etwas wirr ist, liegt das an den noch nicht ganz ausgestandenen Nachwirkungen meines Erschöpfungszustands. Der Nebel im Gehirn lichtet sich zwar mehr und mehr, aber ganz weg ist er noch nicht.

15 Gedanken zu “Burnout ist ein großes Wort

    1. kommunikatz sagt:

      Das freut mich. Aber ich habe manche Dinge vergessen, z.B., dass ich zwar bis kommenden Donnerstag krankgeschrieben bin, dass das aber natürlich nur das Welthaus betrifft und ich noch immer in einer Flut von Leichte Sprache Übersetzungen versinke, die weitaus weniger spannend sind als die Verschwörungsmythen-Broschüre. Irgendwie läuft das Hamsterrad also schon wieder ungebremst weiter, nur weil ich mich gerade wieder ein bisschen erholt habe. Das geht so echt nicht auf Dauer gut, zumal ich inzwischen auch deutlich merke, wie viele gute Schreibideen fürs Blog mir durch die Lappen gehen, weil schlicht die Zeit fehlt.

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      1. kommunikatz sagt:

        Genau das ist mein Problem – schon lange erkannt, aber leider ist Selbsterkenntnis eben nur der allererste Schritt zur Besserung und der Weg ist ganz schön weit und erfordert ganz schön viel Selbstdisziplin – paradoxe Selbstdisziplin in diesem Fall, denn ich muss mich quasi zwingen, mal nicht zu arbeiten und stattdessen etwas für mich zu tun, mich zu entspannen und mit angenehmeren Dingen zu beschäftigen. Es ist unglaublich, wie schwer mir das fällt, weil ich einfach gar keine Idee habe, was das positive Gegengewicht zur Arbeit und zu unerfreulichen Themen sein könnte.

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  1. kommunikatz sagt:

    Wow, gerade habe ich etwas Spannendes gefunden: Bert te Wildt, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat das Konzept des Burn-on erforscht. Das ist das dauernde Funktionieren an der Grenze zum Zusammenbruch, aber ohne, dass dieser jemals kommt. Anders als Burn-out-Patient*innen identifizieren sich Menschen mit Burn-on viel zu sehr mit ihrer Arbeit und den Verpflichtungen. Das trifft auf mich zu und ich muss das unbedingt weiter recherchieren.

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