Dia(b)log: Wie ich blind koche und mit Lebensmitteln umgehe

Ich war mir unsicher, ob sich ein eigener Beitrag zu diesem Thema lohnt. Eine richtige Frage dazu gab es eigentlich auch nicht, sieht mensch mal von meinem suggestiven Aufruf und der entsprechenden Reaktion unter dem letzten Dia(b)log-Artikel über das Putzen ab. Aus meiner Perspektive hat gerade das Kochen und der Umgang mit Lebensmitteln so gut wie nichts mit Sehen zu tun und ich dachte, ein Artikel hierzu würde dementsprechend kurz und langweilig ausfallen. Sehende scheinen sich das aber anders vorzustellen und ihren primären Sinn für viel wichtiger zu halten, als er in Wahrheit ist. Und da ich offensichtlich gerade einen Lauf mit banalen Haushaltsthemen habe, mache ich damit einfach ungefragt weiter und erkläre hier, warum ich Sehen beim Kochen für so unwichtig halte und wie die übrigen Sinne bei der Lebensmittelzubereitung zum Einsatz kommen.

Als Rahmen ist wichtig, dass ich seit vielen Jahren fast nur von Gerettetem lebe. Obst, Gemüse und andere verpackte oder unverpackte Lebensmittel landen in der Regel also erst dann bei mir, wenn sie schon nicht mehr im allerbesten Zustand sind. Verpackte Dinge aller Art selektiere ich erstmal mit sehender Hilfe, lasse mir Mindesthaltbarkeitsdaten vorlesen, entscheide, was ich in meinen (Kühl-)schrank lege, was weiter verteilt werden kann und was vielleicht wirklich schon eher Müll ist. Dinge wie Fertiggerichte, die sich einfrieren lassen, packe ich in den Tiefkühlschrank, wobei ich mir natürlich besonders gut merken muss, was was ist, da Packungen sich von der Form her oft ähneln und Eingefrorenes ja oft recht lange eingefroren bleibt, bevor es dann wieder ans Licht kommt. Gerettetes Brot friere ich immer ein und taue es dann scheibenweise bei Bedarf auf, indem ich die gefrorenen Scheiben in den Toaster stecke.

Mindesthaltbarkeitsdaten dienen mir nur als Richtwert, um abzuschätzen, was ich in welcher Reihenfolge verbrauchen muss. Sie sind kein Ablaufdatum, nach dem das Lebensmittel plötzlich ungenießbar oder giftig wird, sondern nur eine grobe Orientierungshilfe. Viele Produkte halten deutlich länger und verändern sich höchstens leicht in Konsistenz, Struktur oder Geschmack. Deshalb heißt es MINDESThaltbarkeit, der englischsprachige Begriff des „best before“ ist da deutlich treffender, denn das angegebene Datum sagt nur aus, dass bis zu diesem Zeitpunkt der Hersteller die unveränderte Qualität garantiert. Joghurt hält sich oft ein paar Wochen länger, Quark Monate, Tofu und trockene Lebensmittel wie Nudeln oder Kekse manchmal Jahre.

Bei verpackten Produkten, die schimmeln können, reize ich die MHD-Überschreitung aber nicht aus sondern bin relativ vorsichtig, da sich Schimmel, außer bei Brot und Obst, tatsächlich nur visuell erkennen lässt. Brotschimmel rieche ich, wenn er mehr als eine winzige Stelle betrifft, aber bei Milchprodukten ist er geruchlich kaum detektierbar. Käse schimmelt beispielsweise superschnell, dabei überschreite ich das MHD also ungern. Beim schon erwähnten Tofu gibt es auch sehr lange nach dem MHD eigentlich nie Schimmel, aber die Oberfläche eines Tofublocks verrät deutlich, ob er noch okay ist oder nicht. Ist Tofu zu alt, wird er glitschig – oder er schmeckt halt einfach nicht mehr.

Am einfachsten ist der Frischecheck bei unverpacktem oder nach der Ankunft bei mir direkt ausgepacktem Obst und Gemüse. Schimmel kann ich hier, wie bei Brot, meist riechen oder ertasten, faulige oder angematschte Stellen sind ebenfalls mit Nase und Fingern leicht zu entdecken. Gibt es Schimmel oder Fäule, fliegen die Sachen gleich in die Biotonne. Haben sie Macken und Druckstellen, verarbeite ich die Stücke mit den größten Beschädigungen zuerst und schneide weg, was fies ist. Manches davon ist dann noch tauglich als Hundefutter, Anderes kommt auf den Biomüll. Gelagert wird nur, was möglichst in Ordnung ist.

Geruchs- und Tastsinn sind nicht nur bei der Auswahl sondern auch bei der Zubereitung die wichtigsten und zuverlässigsten Informationsquellen, ergänzt durch Geschmackssinn und Gehör. Ich rieche und schmecke die Frische von Lebensmitteln und den Fortschritt beim Garen, ertaste beim Kleinschneiden die Stückgröße, höre, ob Wasser kocht oder Öl in der Pfanne brutzelt, ertaste die Stellung der Drehknöpfe von Herd und Mikrowelle und schmecke ab, ob die Würzung stimmt. Ich fühle, auch ohne direkte Berührung der Fläche, ob eine Herdplatte heiß ist und ob das Kochgeschirr darauf die richtige Position hat (kommt viel Hitze am Rand vorbei oder nicht?) und benutze beim Transfer des Essens vom Topf auf den Teller mehr als üblich meine Hände, da ich mit Löffel oder Schöpfkelle oft kleckere. Vielleicht mag ich auch deshalb keine Suppe. Ob Gebratenes oder Gekochtes durchgegart ist, ermittle ich über den Geruch sowie den Umweg von Zeit und Temperatur. Dinge, die roh ungesund wären, gare ich lieber ein bisschen zu lange als zu kurz, da mir hierfür die visuelle Kontrolle fehlt. Da ich kein Fleisch esse, sind die meisten meiner Koch- und Bratgüter in dieser Hinsicht aber eh unverdächtig.

Ich benutze ganz normale Küchenutensilien und -geräte. Bei letzteren, also z.B. Herd, Mikrowelle und Spülmaschine, sind nur die Bedienelemente ein Knackpunkt. Sie müssen gut ertastbar sein, drehknöpfe müssen klar fühlbare Einrastpositionen und Anschläge haben und Touchscreens oder Menüführungen sind Tabu, weil ich halt das Display nicht sehe sondern mich nur an den taktilen Druck- und Drehknöpfen orientieren kann. Um die Stellung von Drehknöpfen oder die Unterscheidung von Druckknöpfen treffsicher zu handlen, beklebe ich einzelne Schalter oder Positionen mit Markierungspunkten.

Das Einzige, was vielleicht Manchen komisch vorkommen mag und wofür ich von ahnungslosen Sehenden schon oft kritisiert worden bin, ist mein Umgang mit Messern. Ich habe großen Respekt vor scharfen Messern und meide sie, wo ich kann. Meine Lieblingsmesser sind nur so scharf, dass ich mir beim Schnippeln dabei gegen die Fingerkuppe schneiden kann und, wohlgemerkt nur bei leichter Berührung, keine Verletzung entsteht. Ist ein Messer so scharf, dass ich mich bei dieser Taktik verletzen würde, benutze ich es nicht bzw. nur für Spezialaufgaben, bei denen ich schon vorher weiß, dass ich mir auf keinen Fall das Messer gegen den Finger drücken werde. Je dezidierter ich etwas wirklich klein oder gleichmäßig schneiden will, umso stumpfer soll mein Messer sein. Jede*r passionierte Köch*in mit funktionierenden Augen mag mich für bekloppt halten, aber für mich funktioniert das so am besten. Auch meine Langsamkeit beim Schnippeln hat mir schon viel Kritik eingebracht, aber mit dem Tempo steigen auch Verletzungsgefahr und Ungenauigkeit, daher lasse ich mich beim Schnippeln niemals stressen.

Ich bin faul und koche daher meist eher minimalistisch und für zwei oder drei Tage im Voraus. Zum Zwischenlagern der geschnippelten Zutaten benutze ich die Teller und Gefäße, von denen ich anschließend esse oder in denen ich die Portionen für die Folgetage in den Kühlschrank stelle. Während mein Essen in Wok, Pfanne oder Kochtopf vor sich hin gart, räume ich schon alles weg, was ich nicht mehr brauche, spüle Dinge oder packe sie in die Spülmaschine. Wenn das Essen dann fertig ist, sieht die Küche schon wieder aufgeräumt und sauber aus, soweit meine alte, schrottige, von den Vorbesitzer*innen des Hauses übernommene und seither sehr oft zum Sortieren verdreckter, containerter Lebensmittel genutzte Küche jemals den Begriff sauber verdient hat.

Ich kann mich nicht erinnern, von meinen Eltern viel über das Kochen gelernt zu haben, aber bestimmt haben sie mir Einiges zum Umgang mit Lebensmitteln vermittelt. Ich erinnere mich an das gemeinsame Plätzchen- und Kuchenbacken, an kleine Hilfsdienste, auch wenn ich meiner Mutter wirklich nur selten zur Hand ging, ans Abwaschen und später Spülmaschine aus- und einräumen. Von der lange unhinterfragt übernommenen Angst meiner Mutter vor verdorbenen oder nicht mehr makellosen Lebensmitteln musste ich mich sehr aktiv emanzipieren, um in dieser Hinsicht lockerer und weniger verschwenderisch zu werden. Ich habe mir noch nie an gerettetem Essen den Magen verdorben, so gefährlich und schlimm scheint das also alles nicht zu sein 🙂

Was das tatsächliche Kochen betrifft, habe ich wohl das Meiste als Kind im Berufsförderungswerk Düren und einem Ferienkurs mit 14 gelernt. Auf Initiative meines Vaters nahm ich früh an entsprechenden Veranstaltungen zu lebenspraktischen Fertigkeiten teil und lernte dort die Grundlagen. Das Meiste – die Grammatik des Kochens, wie ich irgendwo einmal so schön las – habe ich mir aber durch Ausprobieren, Erfahrung, das Lesen von Tips und Rezepten selbst angeeignet. Nach Rezept koche ich jedoch nie, weil das, was ich koche, sich immer danach bestimmt, was da ist und weg muss – bei geretteten Lebensmitteln, die alle schon nicht mehr wirklich frisch sind, ist das einfach das sinnvollste Kriterium und ich mag es, wenn die Umstände mir Entscheidungen abnehmen.

PS: Als ich heute Nachmittag aus dem Welthaus nach Hause kam, habe ich mir übrigens eins der eingefrorenen Fertiggerichte in die Mikrowelle geworfen. Sowas ist echt praktisch, wenn am Vortag der Kühlschrank leer und keine Gelegenheit zum Vorkochen war.

5 Gedanken zu “Dia(b)log: Wie ich blind koche und mit Lebensmitteln umgehe

  1. Rosa sagt:

    Liebe Lea,
    dass du gerettete Lebensmittel verwendest, habe ich schon aus deinen Texten mitbekommen, und finde es sehr bemerkenswert. Deine Beschreibung, was das Kochen betrifft, klingt für mich schlüssig. Klar, hast du deine Methoden und Gewohnheiten, und musst auch vorsichtig sein. Vor scharfen Messern habe ich auch großen Respekt und benutze sie ungern. Gut, dass du dich auf die übrigen Sinne verlassen kannst. Für mich wäre es schwierig, nach dem Geruchssinn zu agieren, denn der ist mir nach einer schlimmen Grippe schon vor Jahren fast gänzlich abhanden gekommen. 😉
    Danke dir für deinen interessanten Beitrag!
    Viele Grüße
    Rosa

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    1. kommunikatz sagt:

      Liebe Rosa,
      vielen Dank! Das mit dem Geruchssinn ist einer der Gründe, warum ich
      immer schon Angst vor Atemwegsinfekten hatte, seit Corona dann aber
      regelrecht paranoid geworden bin. Klar, dass dann die anderen Sinne umso
      wichtiger sind, wenn der eine nicht mehr ordentlich funktioniert – im
      Grunde geht es uns da ein Stück weit ähnlich,nur dass bei mir das Sehen
      fehlt und bei Dir eben das Riechen. Wenn der Infekt schon so lange her
      ist, gibt es da vermutlich auch keine echten Chancen mehr auf Besserung.
      Das tut mir sehr leid für Dich – aus meiner Perspektive ist ein
      angeschlagener Geruchssinn eine echte Horrorvorstellung. Aber das ist
      das Gleiche, was viele Sehende über mein fehlendes Sehen denken. Mensch
      arrangiert sich dann halt.
      liebe Grüße und alles Gute
      Lea

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      1. Rosa sagt:

        Liebe Lea,
        wie du schon sagtest, ich habe mich damit arrangiert. Und doch vermisse ich oft die so angenehmen Düfte der Blumen und Pflanzen, des Essens oder meines Lieblingsparfums. Ein kleiner Rest des Geruchssinnes ist mir allerdings geblieben – wenn der Geruch sehr stark ist, dann bekomme ich etwas davon mit, nur eben nicht im vollen Umfang. Und manchmal bildet sich mein Gehirn einen Geruch ein (und gaukelt ihn mir vor), den es gar nicht gibt – das ist dann ziemlich verwirrend. Ansonsten muss meine Frau für mich riechen, wenn es notwendig ist. 😃 Ich bin schon froh, dass der Geschmack wieder zurückkam – der war nämlich am Anfang auch weg. Ohne zu schmecken, was ich esse, und das für immer, wäre furchtbar.
        Herzliche Grüße
        Rosa

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      2. kommunikatz sagt:

        Liebe Rosa,
        oh ja, ganz ohne Geruchs- und Geschmackssinn zu leben, stelle ich mir
        sehr trist und auch gefährlich vor. Der Geruchssinn und auch der
        Geschmackssinn haben ja wichtige Warnfunktionen, wenn es z.B. brennt und
        qualmt oder wenn mensch etwas Verdorbenes isst. Gut, wenn es dann eine
        zuverlässige Person gibt, die mit aufpassen kann. Viel Genussvolles geht
        auch verloren. Vielleicht gibt es ja doch noch eine chance, den Sinn
        zumindest rudimentär wieder zu trainieren. Wenn noch ein bisschen da
        ist, könnte das ja ausbaufähig sein. Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel
        Erfolg und anderenfalls andere Wege für Sinnesfreuden! 🙂
        liebe Grüße
        Lea

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