Monströser Mai und Fürsorgepflicht-Fuckup

Erst das Positive: Der Mai war kühl und nass, es gab massenhaft Splosh-Opportunities für Arzu und sie dankte dafür mit einem äußerst komprimierten Fellwechsel. Den ganzen Monat lang flauschte sie wild um sich, davor wollte sie ihr Winterfell nicht hergeben und jetzt ist alles weg. Dass ich bei den Massen von Plüsch, die sie loswerden wollte, jetzt immernoch einen vollständigen Hund habe, ist beeindruckend, aber sie wirkt deutlich kleiner und schlanker. Ich liebe meine Samt-und-Seiden-Sommerarzu, genauso, wie ich die plüschige Winterversion liebe. Und ich hoffe sehr, dass das abgeworfene Fell trotz des späten Zeitpunkts in vielen Vogel- und Kleintiernestern in meinem biodiversen Garten Verwendung gefunden hat.

Nun zu den monströsen Aspekten. Ich wusste, dass der Mai anstrengend werden würde. Ungefähr jede Woche stand irgendein großes, arbeitsintensives, inhaltlich oder von den Beteiligten her heikles Ereignis an. Dass ich weder dazu kommen noch Lust darauf haben würde, meinen 43. Geburtstag zu feiern, war also klar und kein Verlust, ich mache das ja eh nur selten und zu besonderen Jahreszahlen. Immerhin begann der Monat sehr positiv, von Ereignis zu Ereignis wurde es und ich angespannter, aber die Erleichterung, als alles vorbei war, war und ist dafür immens angenehm.

Es fing mit der Mitgliederversammlung des Aachener Friedenspreis e.V. an, auf der wir am 8. Mai unsere diesjährigen Preisträger*innen wählten. Mein eigener Vorschlag kam sehr gut an, wurde es aber nicht. Ein anderer Vorschlag, an dessen Erarbeitung ich beteiligt gewesen war, gewann jedoch, neben einem weiteren, den ich sehr begrüßenswert finde. Nach der MV hatte ich genau eine Woche Zeit für die Pressetexte, das Zusammenstellen der Online-Pressemappe und die Einladung zur Pressekonferenz am 15. Mai. Ich dachte, das würde mich über das lange Himmelfahrtswochenende durchgehend beschäftigen, aber die Vor- und Mitarbeit meiner Vorstandskolleg*innen war so gut, dass ich freitags schon fertig war, alles rausschicken und danach das Wochenende genießen konnte. Die Pressekonferenz lief dann auch super, die Berichterstattung war positiv und wir konnten uns und unseren designierten Preisträger*innen von der Youth Initiative for Human Rights und den Omas gegen Rechts uneingeschränkt auf die Schultern klopfen.

Pünktlich Anfang Mai hatte die Druckerei das Werbematerial für die WeDoKu-Veranstaltung mit Matthias Holland-Letz am 23. Mai fertiggestellt, so dass ich die Friedenspreis-MV und die Multiplikatorenrolle vieler dort Anwesender gleich nutzen konnte, um interessierte Menschen ins Welthaus zu mobilisieren. Das funktionierte allerdings nur so mittel, denn das rund 50köpfige Publikum beim Vortrag am 23. bestand überwiegend aus sich in der Opferrolle wähnenden Daniele-Ganser-Fans und zu einem kleineren Teil aus engagierten Omapas. Der Vortrag war brilliant, differenziert und lehrreich für alle Seiten. Der Referent stellte einige Punkte heraus, in denen er Ganser zustimmt und dessen Arbeit wertschätzt, machte aber auch sehr deutlich, dass Ganser selbst diese positiven Aspekte durch unseriösen Umgang mit Quellen und eine längst nicht mehr zu verhehlende Rechtsoffenheit abwertet. Die Fans fühlten sich durch die teilweise Zustimmung trotzdem gebauchpinselt und frameten den Abend daher als Sieg für sich und Niederlage für uns. Sie unterstellten uns einen Diffamierungsversuch gegenüber Ganser und konnten gar nicht glauben, dass wir vielleicht wirklich einen offenen Diskurs und eine differenzierte Auseinandersetzung mit Gansers Themen und Strategien im Sinn gehabt hatten.

Die ganzen unangenehmen Leute im Publikum und ihr ebenso unangenehmes Gebaren in der Debatte hatte unser Moderator gut im Griff und der Referent ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Ich verbuche die Veranstaltung grundsätzlich als Erfolg, jedoch macht mir der WeDoKu-Vortrag im Juni, wo es dezidierter um rechtsextreme und rechtsoffene Umtriebe und Akteur*innen in der Region gehen wird und sich bereits AFD-Leute angekündigt haben, deutliche Bauchschmerzen. Mich verunsichern zu lassen und am Ende noch irgendetwas abzublasen, nur weil Leute mir e-Mails schicken und das Welthaus mich nicht unterstützt, ist aber definitiv nicht mein Stil. Dafür ist das Thema zu wichtig und der geplante Referent zu kenntnisreich und toll. Die Omapas werden mir die Stange halten und ich hoffe sehr auf noch ein paar weitere vernünftige und antifaschistische Menschen an meiner Seite.

Nach dem Vortrag fiel schon ein gehöriger Druck von mir ab. Der Höhepunkt des Irrsinns stand allerdings in Form der Mitgliederversammlung des Welthaus Aachen e.V. noch bevor. Diese fand am vergangenen Dienstag statt und die Tagesordnung umfasste neben den Standardformalia wie Rechenschaftsbericht und Vorstandsneuwahl auch einen Antrag auf Ausschluss einer schon lange in der Kritik stehenden Mitgliedsgruppe. Im Artikel über meinen frustrierenden Februar bin ich auf diese Causa schon ausführlich eingegangen, daher spare ich mir das hier. Gestellt hatte den Ausschlussantrag der Aachener Friedenspreis e.V., zur Mitgliederversammlung des Welthauses erschienen daher neben mir noch weitere drei Vorstandsmitglieder des Friedenspreises. Wenn nichts Wichtiges ansteht, nehme ich normalerweise im Welthaus das Stimmrecht des Aachener Friedenspreis e.V. wahr, aber in diesem Fall wäre das mit meiner Rolle als Geschäftsführerin des Welthauses kollidiert.

Die Einladung zur MV inklusive aller Unterlagen und Anträge hatte ich einen guten Monat vor dem Termin verschickt, die satzungsmäßige Frist war also übererfüllt und Jede*r hatte mehr als genug Zeit, sich mit dem ausführlich begründeten Ausschlussantrag zu beschäftigen. Trotzdem beantragte eine andere Mitgliedsgruppe des Welthauses schriftlich ca. zwei Wochen vor der MV, den Ausschlussantrag zu vertagen, um auf mehreren außerordentlichen Mitgliederversammlungen ganz in Ruhe darüber diskutieren und entscheiden zu können. Auch, wenn sie der inkriminierten Mitgliedsgruppe inhaltlich nicht zustimmten, hielten sie es für falsch, die Gruppe aus dem Verein zu werfen. Mensch müsse doch mit Allen über Alles reden, es gebe Meinungsfreiheit und das Welthaus müsse ein offener Ort für Debatten bleiben. Auf die Argumente des Friedenspreises, der Ruf des Welthauses sei in Gefahr und das Haus dürfe Querfront und Verschwörungsmythen keinen Raum geben, um derartige Diskurse nicht zu normalisieren, gingen sie nicht weiter ein.

Auf der MV musste ich die Gruppe, die den Vertagungsantrag gestellt hatte, dann skurrilerweise daran erinnern und dazu aufrufen, ihren Antrag auch wirklich zu vertreten. Da ich ihn im vorfeld verschickt hatte, war er allen Gruppen bekannt und ich hätte nicht einfach darüber hinweggehen können, allerdings hätte die Gruppe ihn ohne meine explizite Aufforderung wohl selber einfach vergessen. Unfassbar, wenn Ihr mich fragt,aber nun gut… Das Argument, mensch habe keine Zeit zur Vorbereitung gehabt und müsse sich erst einlesen, um den Ausschlussantrag behandeln zu können, wurde wiederholt und stieß auf Unverständnis, zugestimmt wurde dem Antrag dann mehrheitlich trotzdem. Meine Vorstandskolleg*innen vom Aachener Friedenspreis e.V. sowie Supporter der vom Vereinsausschluss bedrohten Schwurbelgruppe verließen daraufhin die Versammlung, da der wesentliche Punkt ja nun vorerst vom Tisch war.

Das hielt den Oberschwurbler nicht davon ab, bei der Vorstandswahl seine Kandidatur zu erklären, weil er mal wissen wolle, wie im Welthaus-Vorstand so diskutiert werde und welche Regeln es gebe, um Veranstaltungen stattfinden zu lassen oder abzusagen. Mehrfach tat er so, als sei die Absage im Februar aus dem luftleeren Raum gekommen und nicht begründet worden, dabei hatte er selbst schon damals meine vollständige Absage-e-Mail mit sehr konkreter Begründung in seiner Online-Postille veröffentlicht und mich qua Weiterleitung der Mail inklusive Signatur mit all meinen Kontaktdaten an einen riesigen Verteiler quasi gedoxxt. Nur sehr knapp, mit 8 nein- zu 7 ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen wurde er nicht in den Vorstand des Welthauses gewählt. Hätten wir zuvor nicht zwei neue Mitgliedsgruppen in den Verein aufgenommen, die praktischerweise gegen ihn stimmten, hätte er eine Mehrheit gehabt und wäre jetzt zusammen mit den übrigen sechs Vorstandsmitgliedern mein Vorgesetzter. Dass mir gewählte Vorstandsmitglieder in der wieder und wieder vom Zaun gebrochenen Debatte um die Veranstaltungsabsage im Februar argumentativ mehrfach in den Rücken fielen, brauche ich nicht weiter auszuführen.

Ihr seht, Rückhalt habe ich im Welthaus herzlich wenig, ich gebe auch ganz offen zu, dass ich mich offensiv nach einem neuen Job umhöre. In diesen Zusammenhängen möchte ich nicht arbeiten, ich fühle mich bedroht, in keiner Weise wertgeschätzt und sehe mein Engagement gegen Rechtsextremismus und Schwurbel hier auf ziemlich verlorenem Posten. Zum Glück gibt es auch vernünftige Menschen innerhalb des Welthauses und sehr viel Support und Zuspruch von außerhalb. Durch diese ganze Geschichte hat meine Reputation als Kämpferin gegen Rechtsoffenheit und Querfront einen regelrechten Booster erhalten und meine Vernetzung mit Menschen, die am gleichen Strang ziehen, hat sich deutlich gefestigt. Ich weiß sehr genau, wer auf meiner Seite steht – das hilft enorm. Aber ich weiß auch, wer es definitiv nicht tut und wen ich als unsichere Kantonist*innen betrachten muss. Stets auf der Hut zu sein und Selbstschutz über Alles zu stellen, wird mehr und mehr zum unverzichtbaren Reflex.

Ein bisschen genieße ich sogar den Thrill und die Unterstützung durch gute Leute, aber ich fühle mich durchaus auch nicht mehr sicher. Von der Fürsorgepflicht, die ein*e Arbeitgeber*in für ihre Beschäftigten hat, spüre ich nichts. Aber mein Leben war immer schon Einzelkämpferinnentum, ich kenne das nicht anders. „Viel Feind, viel ehr“ und „Was mich nicht umbringt, macht mich härter“ bleiben also meine Mantras.

4 Gedanken zu “Monströser Mai und Fürsorgepflicht-Fuckup

  1. puzzleblume sagt:

    Es wirkt beim Lesen schon bedenklich, was da für Umgangsformen herrschen. Die Argumentation der „Offenheit und Toleranz für Andersdenkende“ führte hier im Landkreis allen Ernstes in einem Gemeinderat zur Abstimmungsmehrheit gegen ein „Kreuz ohne Haken“ an der örtlichen Gemeindeverwaltung, denn man „wolle niemanden brüskieren“. Wie schräg kann man denken!

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  2. kommunikatz sagt:

    Nachdem ein guter Freund mich auf eine spannende Stelle in seiner Organisation hinwies und ich meine Bewerbungsunterlagen aktualisiert und vorfreudig abgeschickt habe, ist nun der Knoten geplatzt und ich bewerbe mich fröhlich auf Alles, was nicht bei „drei“ auf dem Baum ist 🙂 Vier Bewerbungen habe ich gestern und heute schon rausgeballert, unglaublich, wie viele theoretisch passende Stellenangebote es doch so gibt 🙂 Alleine das Gefühl, aktiv etwas zu tun, um mich aus meiner misslichen Lage zu befreien, ist sehr wohltuend. Selbstwirksamkeit ist so verdammt geil!

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