Paranoid Android

Es ist absurd. Da ackere ich mich Wochen lang gefühlt krumm und sehne mich nach Pause und temporären Schlussstrichen unter verschiedenen Baustellen, und sobald ich diese ziehen und durchatmen kann, wird mir langweilig. Ich glaube, ich arbeite nur so verbissen, um nicht zu merken, wie wenig ansonsten in meinem Leben los ist. Solange ich arbeite, bin ich beschäftigt, stehe unter dem nötigen Druck, der mich am Laufen hält, und kann gar nicht darüber nachdenken, was ich eigentlich lieber mit meiner Zeit anstellen würde. Sobald ich diese Zeit habe und kein Druck irgendeiner noch unfertigen Aufgabe mich antreibt, falle ich in ein Loch und mir fällt der Himmel auf den Kopf.

In dem Loch ist es langweilig und leer. Die Leere ist allumfassend, eine Abwesenheit von allem Positiven. Ich weiß nichts mit mir anzufangen, weil ich weder Wünsche noch Ziele habe. Mein Gehirn im Leerlauf kratzt sich wund, nagt sich Gliedmaßen ab. Ich muss weitermachen und durchhalten, um meine Aufgaben zu erfüllen, niemanden zu enttäuschen und möglichst niemandem zur Last zu fallen, aber andere Motivatoren zum Weitermachen habe ich nicht.

Ich strebe nach nichts außer nach Ruhe und Auflösung des gordischen Knotens aus Aufgaben und Verpflichtungen. Aber ist er aufgelöst, falle ich ins Bodenlose. Der Knoten ist mein Netz, mein Halt und meine Daseinsberechtigung. Anderen Halt finde ich nicht, egal, wo ich suche und nach welchen vermeintlich vielversprechenden Strohhalmen ich greife.

Lange dachte ich, ich muss an meiner Resilienz arbeiten, um besser mit dieser Leere, diesem Fehlen von aufbauenden Aspekten in meinem Leben umgehen zu lernen. Inzwischen glaube ich, ich bin längst viel zu resilient. Ich mache einfach immer weiter, egal, wie leer und düster es in mir aussieht. Niemand merkt wirklich, wie es mir geht, weil ich ja noch immer funktioniere. Einen Zusammenbruch kann ich mir nicht leisten, deshalb findet er nicht statt. Andere wären vermutlich längst zusammengebrochen und dadurch aus dem Trott herausgerissen worden, nur mir ist nichteinmal dieser Ausweg vergönnt.

Ich bräuchte dringend therapeutische Unterstützung, um Perspektiven zu finden, aber meine letzte Therapie war Stochern im Trüben und endete in Ratlosigkeit auf allen Seiten. Das ist ein Jahr her und der verstrichene Zeitraum ist zu kurz, um schon wieder eine Therapie von der Krankenkasse bezahlt zu bekommen. Ein neu gestartetes und von mir erst euphorisch begrüßtes Onlineportal für Gruppentherapien erweist sich noch vor seinem eigentlichen Kick-off als genauso barrierenbehaftet wie all die anderen, tollen Webseiten und Plattformen von Datingbörse bis Nachbarschaftsforum. Die Leute sind guten Willens, aber sie kriegen es nicht hin. Als ob allgemein zugängliche und für jeden Menschen nutzbare Online-Angebote so ein Hexenwerk wären.

Auf positive Einflüsse im Privaten hoffe ich schon lange nicht mehr. Ich fühle mich allenthalben abgelehnt, kritisiert, unerwünscht, eine einzige Zumutung und Last. Ich weiß nicht, wann ich mich zuletzt angenommen gefühlt habe – es muss lange her sein und es gab nur sehr wenige solcher Momente in meinem Leben. Vielleicht glaube ich deshalb nicht mehr daran, soetwas irgendwann erreichen zu können.

Positive Gefühle in zwischenmenschlichen Beziehungen wirkten auf mich schon immer wie eine reine Illusion, die die Menschen um jeden Preis aufrecht erhalten, um irgendwoher die Kraft zum Durchhalten zu nehmen. Da die Illusion bei mir nicht mehr funktioniert oder das vielleicht nie wirklich getan hat, hält mich auch das Streben danach nicht mehr über Wasser. Ich glaube nicht an Liebe, weder aktiv noch passiv. Ich habe schon lange nicht mehr geliebt oder mich geliebt gefühlt – und wenn, dann bin ich damit binnen kürzester Zeit übel auf die Nase gefallen. Ich möchte das nicht mehr erleben, also habe ich mich damit arrangiert, dass ich offenbar eh keinen Zugang dazu finde.

Aber es geht mir nicht gut damit. Ich bin ausgelaugt und haltlos,einsam und verbittert. Mit 41 fühle ich mich wie 82, ich bin lebenssatt und fertig mit der Welt. Nein, lebenssatt würde bedeuten, ich hätte genug schöne Dinge erlebt. Das habe ich nicht. Aber ich habe das Leben satt. Es nervt, ist nur anstrengend. Ich möchte das nicht, viel lieber hätte ich ein- für allemal meine Ruhe.

Natürlich weiß ich, dass das keine Lösung ist. Ich muss irgendwie weitermachen. Aber es fällt zunehmend schwer, ist zunehmend frustrierend. Ein bisschen komme ich mir vor wie Marvin, der depressive Roboter aus „Per Anhalter durch die Galaxis„. Er hat die gesamte Sinnlosigkeit des Daseins durchschaut und leidet darunter, aber weil er eine Maschine ist, die eigentlich nicht dafür gebaut wurde, Gefühle zu haben, ist er zum Weitermachen verdammt. Stecker ziehen ist nicht, die Akkus laden sich irgendwie durch die eigene Bewegungsenergie immer wieder auf, ob er will oder nicht.

Wie Marvin verzweifle auch ich an den Menschen, die ihre Einfalt kultivieren und das große Ganze nicht erkennen wollen oder können. Ich warte geduldig, wenn ein Zeitsprung mich dazu verdammt, Jahrhunderte lang in irgendeinem Parkhaus am Ende des Universums zu stehen. Und ich werde nur rudimentär patzig, wenn die Menschen mich anschließend fragen, was ich die ganze Zeit gemacht habe. Ich parke, im Parkhaus, bis die Welt mich irgendwann mit in den abgrund reißt, was denn sonst?

PS: Der Titel dieses Beitrags ist einem meiner langzeit-Lieblingslieder von Radiohead entlehnt.

11 Gedanken zu “Paranoid Android

  1. Tanja sagt:

    Liebe Lea,

    ich bin bestürzt und weiß nicht, wie ich dir vermitteln kann, dass du absolut erwünscht und keine Last bist. Fühl dich ganz fest umarmt (wenn du magst).

    Wenn du keine ambulante Therapie bezahlt bekommst, versuche es mit einer Klinik für Psychosomatik, z. B. hier https://www.schoen-klinik.de/bad-bramstedt/pressebereich/pressemitteilung/9960. Oft ist eine kurzfristige Aufnahme möglich, wenn jemand abspringt.

    Liebe Grüße

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    1. kommunikatz sagt:

      Liebe Tanja, erstmal vielen Dank an Dich. Bei Kliniken habe ich es eine Zeit lang versucht, da war es immer ein riesen Hantier, weil ich blind bin und Arzu dabei haben will/muss. Das ist für Viele ein Problem und für mich hat eine Therapie ohne Arzu keinen Sinn, weil sie erstens mein Mobilitätshilfsmittel ist und ich mich ohne sie nur schwer zurechtfinde, außerdem auch, weil ich nicht zur Ruhe und zum klaren Denken komme, wenn sie nicht bei mir ist und ich nicht weiß, wie es ihr geht. Leider alles nicht so einfach.
      liebe Grüße
      Lea

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      1. kommunikatz sagt:

        Rechtlich ist sie ein Hilfsmittel und darf überall hin, nach Ansicht der Leute ist sie ein Hygienerisiko, macht Abläufe komplizierter und es gilt Hausrecht. Dass letzteres nur der Fall ist, wenn Arzu oder ich uns regelwidrig verhalten würden, ist wumpe. Mit dem Thema der Zutrittsrechte von Assistenzhunden habe ich es immer erfreulich leicht, aber ich kenne dazu aus meinem früheren Engagement bei Lichtblicke e.V., dem Verein zur Förderung des Assistenzhundewesens, leider sehr viele Negativbeispiele, von denen mich halt auch mal eines in dieser Sache einholt. Und irgendwo hört dann halt auch mein Wille auf, ständig zu diskutieren und zu kämpfen. In einer Klinik, wo die Leute mich nicht wollen, will ich letztlich ja auch nicht sein.

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