Highly likely

Brain_ShamblenFoto: Brian Shamblen. Flickr

Im Beitrag Highly healthy habe ich bereits über die neuen gesetzlichen Regelungen zu medizinischem Cannabis und meine Einstellung zu diesem Thema berichtet. Jetzt geht die Story weiter:

Heute habe ich einen Antrag auf die Kostenübernahme für medizinisches Cannabis durch meine Krankenkasse gestellt. Je länger ich seit der diesbezüglichen Gesetzesänderung vom 1. März 2017 darüber nachdachte, umso spannender fand ich diese Idee. Dass Cannabis nicht nur eine spaßige Sache ist sondern mir tatsächlich hilft, war mir schon lange klar. Wie sehr und wie konkret es hilft, musste ich aber erst aufschreiben, um es selbst zu begreifen.

Ob ich Chancen auf die Kostenübernahme habe, wird sich nun in ein paar Wochen zeigen. Ein Rezept, um Cannabis in der Apotheke zu kaufen, bekäme ich wohl auch jetzt schon. Meine Aufzeichnungen über die positiven Effekte von Cannabis auf meine Gesundheit überzeugten jedenfalls sowohl meinen Neurologen als auch meine Hausärztin, die nun das Experiment des Antrags gemeinsam mit mir auf den Weg gebracht haben. Ich möchte hier dokumentieren, was ich den Beiden vorgelegt habe und was offenbar ihre Neugier geweckt hat. Mit diesen Ausführungen darf sich nun auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) auseinandersetzen. Die Gutachter*innen müssen nach Aktenlage entscheiden – dabei helfe ich natürlich gern.

Alle Angaben beziehen sich auf meine nun rund zweijährige Erfahrung mit regelmäßigem Cannabiskonsum. Vorher habe ich nur selten gekifft, fremd war es mir aber nicht. Meine MS-Diagnose erhielt ich bereits 2006, also vor fast 12 Jahren, die Therapie mit dem Medikament Avonex habe ich wenige Monate nach der Diagnose begonnen. Die zu vergleichenden Zeiträume ohne und mit Cannabis sind also ausreichend lang, um daraus Schlüsse zu ziehen. Es handelt sich um meine Erfahrungen, also zunächst nicht um statistische Belege sondern um rein anekdotische Feststellungen. Allerdings lassen sich die meisten dieser Feststellungen anhand von Studien und wissenschaftlich belegbaren Zusammenhängen plausibilisieren.

1. Auswirkung auf MS-Symptome

Seit ich regelmäßig Cannabis konsumiere, habe ich signifikant seltener kurzzeitig auftretende Symptome wie Spasmen, Kribbeln, Taubheit oder andere Empfindungsstörungen in den Fingern oder Zehen. Da diese Empfindungsstörungen für mich Alarmsignale sind, die auf einen möglicherweise beginnenden Schub hindeuten, bin ich über ihren Rückgang sehr froh. Ich gerate viel seltener als früher in Panik, weil ich denke, ein Schub kündigt sich an. Innerhalb der letzten zwei Jahre gab es maximal eine oder zwei solcher Situationen, die in der Zeit zuvor deutlich häufiger (ca. einmal auf ein oder zwei Monate) auftraten.

Über den Einfluss meines Cannabiskonsums auf die generelle Krankheitsaktivität lässt sich wenig sagen, da ich bereits seit knapp 9 Jahren schubfrei bin und schon lange keine Verlaufskontrollen wie MRT-Untersuchungen mehr stattgefunden haben. Das Abnehmen kurzzeitiger Symptome könnte aber auf eine weitere Beruhigung hindeuten – ob durch einen Rückgang entzündlicher Prozesse oder durch ein weniger aggressives Immunsystem, kann ich als medizinische Lain nicht beurteilen.

2. Unterstützung der Avonex-Therapie

Generell vertrage ich Avonex, eines der am längsten erprobten MS-Medikamente mit dem Wirkstoff Interferon beta, sehr gut. Nach über 11 Jahren ununterbrochener, wöchentlicher Injektion des Medikaments bemerke ich viele der Nebenwirkungen nur noch selten. Eine Nebenwirkung, die jedoch zuverlässig jede Woche am Tag nach der Injektion auftritt, ist eine oft sehr ausgeprägte Appetitlosigkeit. Da ich in den letzten Jahren relativ viel Gewicht verloren habe und mein BMI zur Zeit nur knapp 19 beträgt, habe ich Angst, durch die regelmäßige Appetitlosigkeit noch weiter abzunehmen und ins Untergewicht zu rutschen. Die appetitanregende Wirkung von Cannabis hilft mir, diesen Faktor im Griff zu behalten und genug zu essen. Die wissenschaftlich bestätigte regulierende Wirkung von Cannabis auf Verdauung und Appetit bzw. auf das Körpergewicht kommt mir hier sehr zu Gute.

Ein weiterer hilfreicher Effekt ist die schlaffördernde und entspannende Wirkung von Cannabis. Diese hilft mir, die grippeähnlichen Nebenwirkungen in den Stunden unmittelbar nach der Injektion zu verschlafen, ohne von jeder Kleinigkeit aufzuwachen. Generell unterstützt Cannabis meinen zeitweise recht problematischen Schlafhaushalt, indem es mich besser und tiefer schlafen lässt. Ich habe sonst einen sehr leichten Schlaf und es fällt mir sehr schwer, wieder einzuschlafen, nachdem mich nachts einmal etwas aufgeweckt hat. Das führt tagsüber oft zu einer regelrechten Fatigue, die ich nicht habe, wenn ich ausreichend schlafe.

3. Psychische Wirkung

Cannabis wirkt auf meine Psyche stabilisierend, stimmungsaufhellend und entspannend. Ich empfinde deutlich seltener Stress, der als relevanter Faktor bei MS gilt. Diese Wirkung besteht dauerhaft, auch wenn ich nicht unter dem unmittelbaren Einfluss von Cannabis stehe. Ich mache mir generell weniger Sorgen und habe weniger Angst vor zukünftigen Entwicklungen, seit ich regelmäßig Cannabis konsumiere. Ich kann besser mit der Ungewissheit durch die unberechenbare Krankheit umgehen und gerate nicht mehr wegen kurzzeitiger körperlicher Symptome in Panik (siehe auch 1.). Da ich aus früherer Erfahrung weiß, wie anfällig ich für depressive Verstimmungen und emotionale Negativspiralen bin, weiß ich diese insgesamt lockernde Wirkung sehr zu schätzen. Alles, was mein Wohlbefinden steigert und mich zufriedener macht, ohne an anderer Stelle zu schaden, betrachte ich als therapeutisch hilfreich.

4. Auswirkungen auf mein Sehen

Unter Cannabiseinfluss verändert sich mein Sehen. Der minimale Sehrest von schätzungsweise ca. 1% erlaubt mir normalerweise nur eine grobe Orientierung an Lichtquellen. Unter Cannabiseinfluss sehe ich deutlich mehr Details, weil die Kontraste sich schärfen und das Bild weniger verschwimmt. Dadurch werden auch Farben für mich wieder erkennbar, die sich sonst wegen der starken Unschärfe überlagern und zu wolkigen Graustufen werden. Je nach Zusammensetzung des konsumierten Cannabis und je nach den gerade wahrgenommenen visuellen Reizen habe ich auch schon hochinteressante Halluzinationen bzw. Illusionen im visuellen Bereich erlebt. Hier ist eine weitere Untersuchung angeraten und spannend. Bisher nutze ich den Effekt nicht therapeutisch, da ich tagsüber, wenn mir das bessere Sehen helfen würde, andere, akute Auswirkungen von Cannabis nicht gebrauchen kann. Ich konsumiere es nur abends, wenn aufgrund des meist fehlenden Lichts mein Sehen keine wirkliche Rolle spielt. Unter dem Aspekt des verbesserten Wohlbefindens profitiere ich aber dennoch von den „hellen Momenten“ meiner Sehkraft.

5. Quellen

Ich nenne folgend zwei Weblinks. Bei den Seiten handelt es sich um Blogs von Cannabissamenherstellern, also Quellen mit kommerziellem Interesse. Die beiden Blogartikel enthalten jedoch ihrerseits Verweise zu zahlreichen Studien und wissenschaftlichen Publikationen, die ich für relativ umfassend halte. Für einen generellen Überblick eignen sich diese Seiten selbst gut, sie sind hier aber vor allem als „Sprungbretter“ zu den dort verlinkten Quellen gedacht.

https://sensiseeds.com/de/blog/fuenf-wichtige-vorteile-von-cannabis-bei-multipler-sklerose/
http://1000seeds.info/wordpress/cannabis-als-appetitanreger-und-als-regulator-fuer-das-koerpergewicht/

Bonuslink zum Thema Wohlbefinden (and it’s all true, man!):
http://med.stanford.edu/news/all-news/2017/10/regular-marijuana-use-linked-to-more-sex.html

13 Gedanken zu “Highly likely

  1. kommunikatz sagt:

    Gestern hatte ich zumindest schonmal eine Art Empfangsbestätigung in der Post. Meine Unterlagen werden also jetzt vom MDK begutachtet und die Textbausteine meines freundlichen Sachbearbeiters klingen durchaus Mut machend.

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  2. kommunikatz sagt:

    Interessanterweise hat Cannabis noch eine weitere, wesentlich konkretere Wirkung bei (meiner) MS. Momentan habe ich relativ ausgeprägte Symptome – entweder ein Schub oder eine heftige Nervenreizung, ich gehe aber von einem Schub aus. Die Symptome sind ein Kribbeln und eine unterschiedlich stark ausgeprägte Oberflächentaubheit in der gesamten linken Körperhälfte, nur mit Ausnahme von Handfläche und Fingern, Fußsohle und Zehen sowie dem Gesicht. Sogar der Hinterkopf fühlt sich auf der linken Seite an, als wäre ich in Watte gepackt.
    Nach einem Joint sind diese Symptome beinahe weg oder zumindest stark reduziert und deutlich erträglicher. Ich vermute den Zusammenhang in der tatsächlich nachgewiesenen, schmerzlindernden Wirkung von Cannabis. Kribbeln und Taubheit sind zwar nicht das Gleiche wie Schmerz, aber wenn ich das Ganze physiologisch und neurologisch richtig verstanden habe, sind diese Empfindungen zumindest eng miteinander verwandt. Wenn ein Nerv gereizt wird, kommt erst das Kitzeln und Kribbeln, je stärker der Reiz ist, desto schmerzhafter wird er. Schmerz wäre demnach ein stark gesteigertes Kribbeln. Vielleicht geht mein Kribbeln also aus dem gleichen Grund weg wie bei Schmerzpatient*innen die Schmerzen, wenn ich THC und CBD aufnehme. Warum auch die Taubheit gelindert wird, weiß ich nicht, aber es ist verdammt nett und angenehm.
    So viel zur neuen Erkenntnislage aus dem Hause kommunikatz 🙂

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