Heute lag sie auf dem Rücken und er vollführte Bewegungen mit ihrem rechten Bein, während sie das linke als Gegengewicht von der Liege hängen ließ. Die durch den ganzen Körper verlaufenden Nervenbahnen sollten beweglich gehalten werden, wie Kabel in ihren Kanälen. Er spreizte ihr Bein ab und drückte es sanft aber bestimmt nach unten, so dass es auf der Innenseite ihres rechten Oberschenkels ordentlich schmerzte. In dieser Position drängten sich ihr immer Gedanken darüber auf, wie genau er dank ihrer figurbetonten Kleidung jede Kontur ihres Körpers sah und wie einladend gespreizt ihre Beine waren. Am wenigsten offensichtlich für ihn war wegen der Maske ihr Mienenspiel.
Inzwischen hatten sie Beide ihre erste Covid-Impfdosis erhalten, sie freudig jubelnd, er dem Vernehmen nach eher auf Druck seines Umfeldes. Zumindest sah er ein, dass sie die Pandemie anders nicht in den Griff bekommen würden. Er war zwar immernoch der Meinung, eigentlich lieber auf sein Immunsystem vertrauen und es bestenfalls mit Heilpflanzen wie Sonnenhut stärken zu wollen, aber den haltlosen Behauptungen echter Impfgegner*innen schloss er sich zu ihrer Erleichterung nicht an.
Ihr lag der Kommentar auf den Lippen „Wenn wir Beide geimpft sind, könnten wir zur Abwechslung mal wilden Sex haben!“, aber natürlich sagte sie nichts Dergleichen. Sich massieren zu lassen oder seine bei Übungen warm auf ihrem Po ruhende oder ihr Bein entlangstreichende Hand zu genießen, war vielversprechender, als verbal explizit zu werden. Ihre Phantasien waren erfahrungsgemäß schöner als die Realität, also riskierte sie lieber nicht, dass sie sich erfüllten.
Mit den Worten „So, für heute sind wir fertig“ legte er ihr Bein auf der Liege ab. „Das geht immer so schnell“ – sie konnte das Bedauern in ihrer Stimme nicht verbergen. Sie räkelte sich, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und hoffte, dass er das dankbare Lächeln in ihren blauen Einbahnstraßen-Augen wahrnahm.
Dies ist meine zweite Etüde zu Christianes aktueller Schreibeinladung und eine Fortsetzung zu „Nähe in Zeiten von Covid-19„.
Die zu verwendenden Wörter wurden diesmal gemeinsam von ihr und dem inzwischen bloglosen Etüdenerfinder Ludwig Zeidler gespendet. Sie lauten „Sonnenhut“, „haltlos“ und „massieren“. Ich konte den Wörtern im zusammenhang mit der eh in meinen Fingern juckenden Fortsetzung dieser Geschichte nicht widerstehen. Vielleicht braucht das schon eine Art Kitsch-Triggerwarnung…
Einbahnstrassenaugen – welch schönes, ausdrucksvolles neues Wort!
LikeGefällt 1 Person
Danke 🙂 kam mir so spontan in den Sinn, weil es einfach passt.
LikeGefällt 1 Person
Ja, genau das wollte ich auch hervorheben „Einbahnstraßenaugen“, ein geniales Wort !
LikeGefällt 1 Person
Ich habe mich eh gefragt, warum so wenige das „Massieren“, äh, körperbetonter eingesetzt haben. Okay, ich ja auch nicht, aber ich hatte darüber nachgedacht 😉
Schön, die Einbahnstraßenaugen! 👍
Sonntagmorgenkaffeegrüße 😁⛅🍳🥖👍
LikeGefällt 1 Person
Eigentlich hatte ich die Idee, das Massieren wörtlich zu nehmen, von Anfang an, da sich das so gut an meine vorherige Etüde zu Puzzleblumes Wörtern anschloss, aber irgendwie habe ich die Kurve erst im letzten Moment gekriegt 🙂 Wunderte mich allerdings auch, dass das insgesamt doch recht selten vorkam. Es haben sich doch irgendwie alle mehr am Sonnenhut in der einen oder anderen Bedeutung abgearbeitet.
LikeGefällt 1 Person
Wir sind halt „brav“, jedenfalls in dem, was wir schreiben … Doch, ich glaube schon, dass es das (auch) sein kann. 😉
LikeGefällt 1 Person
Brav sein fand ich schon immer langweilig 🙂
LikeGefällt 1 Person
Das habe ich mir schon gedacht 😀
LikeGefällt 1 Person