Mir fehlen die Worte, schon seit Wochen, aber seit letzten Mittwoch umso mehr. Inzwischen höre ich nicht mehr alle paar Minuten die Kakophonie von Martinshörnern, aber bis gestern (Freitag) Abend war das so. Und ich merkte, dass mich dieses Geräusch irgendwie mit Erleichterung erfüllt, weil es so viel sagt wie „Hilfe ist auf dem Weg“.
Ich selbst brauchte solche Hilfe nicht, außer ein paar Pfützen im Kellerflur und Heizungsraum hat mich der ununterbrochene Regen der vergangenen Tage verschont. Die erste Ladung Wasser schaffte ich alleine weg, bei der zweiten half mein Ex und – ja, ich nenne das mal so, inzwischen bester Freund. Aber schon im Nachbarhaus hat das von unten aufsteigende Wasser alle Fliesen des Kellerbodens abgelöst und ein paar Häuser weiter, in der sogenannten Ladenstraße, die irgendwann in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts mal als Mini-Promenade gemeint war, aber seit Langem mehr Praxen und Leerstand als Läden beherbergt, liefen alle Keller und Flachdächer voll. Das Welthaus an der Schanz hat jetzt endgültig sein tausendfach undichtes Dach offenbart, es tropft in die Aula. Der erstaunlich schnell vom Gebäudemanagement der Stadt herangeschaffte Dachdecker sagt, das ganze Dach muss neu – kein Wunder, es ist 70 Jahre lang nur daran herumgeflickschustert worden. Der Keller des alten Gemäuers profitiert von einem Mäuerchen am Lichtschacht und der regelmäßigen Reinigung der Drainagen, für die ich der Stadt allerdings auch Monate lang auf den Senkel gehen musste.
Bei aller Erleichterung über mein eigenes glimpflich Davonkommen schockiert mich aber die Dimension dieses Unwetters wirklich bis zur Sprachlosigkeit. Nachbarstädte wie Stolberg und Eschweiler, wo ich überall liebe Menschen kenne, sind völlig verwüstet. Wohnhäuser standen bis Oberkante Erdgeschoss unter Wasser, Einkaufsstraßen sehen mit zerborstenen Schaufenstern und überall verteiltem Unrat aus, wie im Krieg. Es gab weder Strom noch Trinkwasser, Krankenhäuser und Altenheime wurden evakuiert, teils aus der Luft oder vom Wasser aus, weil es so hoch stand, dass kein Auto mehr fahren konnte.
In anderen Städten an anderen Flüssen stürzten Häuser ein, wurden weggespült, Menschen starben. Ich habe den Überblick verloren, aber die Todeszahlen dürften inzwischen dreistellig sein. Auch Belgien und die Niederlande wurden hier im Dreiländereck hart getroffen. Brücken wurden weggespült, auch in BE fielen ganze Häuser in sich zusammen, Campingplätze die gerade wieder von Tourist*innen bevölkert worden waren, mussten evakuiert werden. Mein bester Freund half dabei, den bei ihm benachbarten Naturcampingplatz von den Fluten der Gueule zu schützen und aufzuräumen, nachdem das nicht funktionierte. Das Wasser stand einen Zentimeter unter dem Boden der dort feststehenden, dauerhaft bewohnten Hütten. Die Straßen rund um diesen Campingplatz wurden einfach weggeschwämmt. Auch der Philippionsweg hat sich bis zu den mit Sandsäcken erhöhten Drempels aufgelöst, wie er es ansatzweise schon bei jedem normalen Regen tat – aus dem großteils asphaltierten Weg ist eine zerklüftete Schotterpiste geworden und das Regenrückhaltebecken hielt nicht mehr viel zurück. Als Donnerstag Abend der Regen kurzzeitig nachließ und die Fluten etwas weniger reißend waren, fand Arzu das ganz toll und verstand gar nicht, wieso meine Mutter und ich nicht über die Sandsäcke klettern und mit ihr durch das Wasser planschen wollten.
Ja, wir sind sehr glimpflich davongekommen. Aber die Zerstörung ist nah, die verheerenden Folgen für Viele sind spürbar und erschütternd. Eifeldörfer, durch die mein Ex-Mann und ich vor zehn Jahren radelten, existieren nicht mehr. Menschen haben ihr Hab und Gut, ihr Zuhause und ihre Lieben verloren. Und warum? Weil die Zivilisation es verbockt hat. Extremwetter wird häufiger und – ja – extremer. Das ist Klimawandel live und jetzt sollte Jede*r verstehen, warum das Wort Klimawandel ein Euphemismus ist und -krise, -chaos oder -katastrophe die viel passenderen Ausdrücke sind. Nein, das war kein Jahrhundertereignis, das war etwas komplett Neues. Der Zusammenhang zwischen der Erderhitzung und solchen Wetterphänomenen liegt auf der Hand und wurde schon tausendfach erklärt, so dass ich mir das hier spare. Aber wir werden uns auf mehr solcher Ereignisse einstellen und uns daran gewöhnen müssen. Es wird keinen Wechsel zwischen sanftem Landregen und schönem Sommerwetter mehr geben, alles wird extremer. Entweder, es wird Wochen lang trocken und heiß, oder eben mindestens Tage lang pausenlos große Niederschlagsmengen geben. Darauf sind Böden und Pflanzen nicht eingestellt, dafür sind versiegelte Flächen nicht gemacht.
Wir müssen uns anpassen, dem Wasser ermöglichen, im Boden zu versickern, anstatt die Kanalisation zu überlasten. Die Oberflächen müssen Schwämme sein statt Betonwüsten. Flüsse müssen in die Lage versetzt werden, mehr Wasser aufzunehmen, Auenlandschaften müssen renaturiert und Flüsse entgradigt werden. Wenn wir nicht jetzt endlich dahingehend die Kurve kriegen, saufen wir ab. Viele mussten diese Erfahrung schon machen, jetzt sollte das Warnsignal bei Allen angekommen sein. Wieso handeln Menschen immer erst dann, wenn es eigentlich längst zu spät ist, wenn es Tote und Verletzte gibt und massenhaft Zerstörung? Wieso verdrängen Menschen Katastrophen, bis sie unmittelbar vor ihrer eigenen Haustür oder sogar dahinter stehen und das sprichwörtliche Kind längst in den tatsächlichen Brunnen gefallen ist?
Wir retten das Klima nicht mehr, aber wir können seinen Zusammenbruch und die für uns daraus resultierende Katastrophe zumindest noch herauszögern und uns darauf besser einstellen. Und um herauszuzögern, was noch geht, müssen wir jetzt sofort aufhören, Treibhausgase auszustoßen, fossile Energieträger zu verbrennen, Rinder in Massen zu halten und Umwelt zu zerstören. Wir müssen als gesamte Gesellschaft unser Leben ändern, weg von ohnehin unmöglichem, ewigem Wachstum, hin zu Nachhaltigkeit – jetzt.
Ein Gedanke zu “Von der Schreibblockade in die Sprachlosigkeit”