Bäuchlings lag sie auf der Massagebank. Das Badetuch unter ihr roch durch die FFP2-Maske hindurch fruchtig nach Waschmittel. Ein leichter Luftzug strömte über ihren nackten Rücken. Wegen der Aerosole öffnete sie immer das Fenster mit der scheppernden Jalousie, sobald sie den Behandlungsraum betrat. Einerseits nahm der Physiotherapeut Hygiene sehr ernst und beklagte sich über Patient*innen mit Erkältungssymptomen, andererseits lüftete er nicht konsequent und wollte sich nicht impfen lassen – ihr war das alles ein wenig schleierhaft – auf ihre eigene Impfung wartete sie sehnsüchtig.
Er löste die Häkchen ihres BHs und strich das fadenscheinige Kleidungsstück zart zur Seite. Die kühle Massagelotion roch wie das Waschmittel – wenigstens nicht unangenehm, trotzdem nicht ihr Fall. Gut so, dachte sie, denn wäre es auch noch ein schöner Duft gewesen, hätte sie gänzlich die Kontrolle verloren.
Wenn er mit sanften, warmen Händen einzelne Verspannungspunkte bearbeitete, konnte sie seine wohldosierte Kraft erahnen. Wie er wohl aussah? Sie konnte sein Alter nicht schätzen, tippte aber auf um die 50 vielleicht war er älter und hatte Dackelfalten, zumindest mochte er Hunde. Wenn er in Rente gehen würde, wollte er sich einen Husky zulegen, hatte er erzählt.
Ihre Blindenführhündin hatte er ins Herz geschlossen, auch wenn er sich professionell zurückhielt. Das taten sie Beide. Ihr Vertrauen war gegenseitig, nach vielen Monaten des wöchentlichen Körperkontakts und der Feststellung, dass sie, abgesehen von der Einstellung zur Impfung, Vieles teilten. Sie hatte keine Scheu, sich vor ihm auszuziehen. Fast bedauerte sie, dass die meisten Übungen voll bekleidet stattfanden.
Heute hatte sie zu Beginn ihrer halben Stunde nur gesagt „Bitte machen sie irgendwas, das sich gut anfühlt“. Das tat er, ohne Grenzüberschreitung, aber trotzdem glühte es zwischen ihren Beinen. Auf dieses Gefühl würde sie abends, allein im Bett, dankbar zurückkommen. Diese Oasen sinnlicher Berührung in einer Zeit von Distanz und Angst waren ein unglaubliches Privileg.
Die Wörter „Dackelfalten“, „fruchtig“ und „scheppern“ zu Christianes Schreibeinladung zu den Textwochen 12/13 des Schreibjahres 2021 stiftete die liebe, hier immer wieder in Kommentaren anteilnehmende Puzzleblume. Ja, diese Etüde ist autobiographisch und beschreibt eine Situation, die sich heute ziemlich genau so zugetragen hat. Sorry für meine Ehrlichkeit 🙂 Aber just über dieses Thema haben Puzzleblume und ich uns schon in den Kommentaren unter dem Beitrag „Physis“ unterhalten, deshalb passt das hier echt gut.
Die Worte hast du so gut und selbstverständlich in deiner Fortsetzung des Themas untergebracht – finde ich super ge- und beschrieben.
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Danke 🙂 Kam so über mich.
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Das ist irgendwie immer die beste Art von Schreibimpuls 🙂
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Ich finde das, was du beschreibst, sehr, sehr nachvollziehbar und verständlich. Als Single ohne Familie hat mensch zurzeit Berührungsmangel, und Fellträger sind toll, fangen aber nicht alles auf. Wie auch.
Danke dir für deine sehr ehrliche Etüde! 😁👍
Morgenkaffeegrüße 😁⛅☕🥐🌼👍
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Genau, das wollte ich verdeutlichen und wenn mensch zum Beitrag „Physis“ weiterklickt, habe ich es da ja auch schon theoretischer ausgeführt 🙂 War mir halt mal wieder unsicher, ob ich das wirklich so bringen kann – und manche Details habe ich weggelassen, erstens wegen der 300 Wörter, die ich sonst gesprengt hätte, und zweitens, weil es ja denkbar ist, dass jemand den Therapeuten zuordnen kann und ich dann logischerweise nichts privates von ihm ausplaudern darf.
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Ich hatte mich tatsächlich daran erinnert, dass du das Thema schon mal hattest, und war ganz froh über den Link zum Weiterlesen. 😉
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