Sie waren Freundinnen seit der Volksschule. ihr Leben lang hatten sie sich regelmäßig getroffen, fast immer bei Christa, weil diese so ungern ihr heimisches Nest verließ. Ihre Häuslichkeit war immer schlimmer geworden. Seit Christa ein Enkelkind hatte, sprach sie von nichts Anderem mehr. Ständig zeigte sie Heide Videos, die ihr Sohn ihr über WhatsApp schickte. Er lebte mit Frau und Tochter in Dänemark, Christa sah sie nur selten.
Heide hatte weder Enkel noch WhatsApp. Ihre Töchter gingen auf die 40 zu und hatten sich beide bewusst gegen Fortpflanzung entschieden. Heide konnte das gut nachvollziehen. Sie war auch nie Mutter aus tiefer Überzeugung gewesen, es war halt der Lauf der Zeit.
„Du brauchst WhatsApp, dann kann ich dir die süßen Videos einfach weiterleiten!“ forderte Christa immer wieder. „Nein, ich mache mich nicht gläsern“, beharrte Heide, die ein gesundes Misstrauen gegen alle Versprechungen von Datenschutz und Privatsphäre hatte. „Dann flattern mir ja nur noch nervige Belanglosigkeiten und verschwörungstheoretische Falschmeldungen aufs Handy“. Dass ihr die Babyvideos auf den Wecker gingen, behielt sie für sich. „Aber du kehrst dein ganzes Leben unter den Teppich. Du könntest mich an so Vielem teilhaben lassen“, murrte Christa.
„Woran willst du denn teilhaben? Meine Naturfotos findest du langweilig.“ „Deine Kinder…“ setzte Christa an. „Meine Kinder bedanken sich, wenn ich Details aus ihren Leben bei WhatsApp verbreite.“ Heides ältere Tochter boykottierte Social Media und ihre Jüngste hatte nur ein berufliches Facebookprofil. „Aber wenn du endlich stolze Oma wirst!“ „Glaub mir, das ist unwahrscheinlich.“ „Oh, das tut mir so leid.“ „Ehrlich gesagt bin ich froh, nicht dauernd Kinder hüten zu müssen. Luisa wohnt bei mir um die Ecke, wenn sie Kinder hätte, hätte ich die ständig geladen.“ „Hach, ich fände das toll. Du könntest Deine Enkel jeden Tag sehen!“ Heide verdrehte die Augen. Warum tat sie sich diese Diskussionen immernoch an?
Die Wortspende kam diesmal von Myriade mit ihrem wunderbaren Blog „la parole a été donnée à l´homme pour cacher sa pensée„. Ihre Wörter lauten „Teppich“, „gläsern“ und „flattern“.
Die aktuelle Schreibeinladung und alle Infos zu den von Christiane mit ihrem Blog „Irgendwas ist immer“ gepflegten abc.etüden findet Ihr hier.
Eine erfrischend unkonventionelle Dame beschreibst du da, eine nicht Oma sein wollende whats-app Verächterin. Erinnert mich daran, dass ich eine sehr liebe Freundin habe, die mich ständig mit videos dieser Art bombardiert. Seit wir alle zuhause sitzen ist das noch schlimmer geworden 😦
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Ohje, dann bist Du eine Leidensgenossin meiner Mutter, die zwar nicht Heide heißt, aber für diese Figur so zu sagen Modell gestanden hat 🙂
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Wahrscheinlich sind wir viele nur sagt es niemand gerne …
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Da prallen Welten aufeinander, die ich sehr gut beschrieben und wiedererkennbar finde.
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Danke, liebe Puzzleblume! Freut mich, dass mir das gelungen ist, denn genau darauf hoffe ich immer, obwohl ich selten glaube, die Charaktäre wirklich gut genug herauszuarbeiten.
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„Großartig“ meine ich immer dann bei Beiträgen, wenn ich im Nachhinein schätzen muß, an welchen Textstellen ich die versteckten Worte finden könnte … 😉
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Hehe, so gehts mir auch immer und ich mache daraus gerne einen Sport. Passt ja zur nachösterlichen Zeit, ich verstecke bloß lieber Wörter als Eier 🙂
Und außerdem dachte ich, dass jetzt bestimmt alle über fliegende Teppiche schreiben und ich genau das nicht tun werde ;o)
Hoffentlich komme ich dazu, all meine weiteren Ideen zu diesen Wörtern noch umzusetzen. In keiner der Stories wird ein Teppich fliegen, versprochen! Höchstens in ganz übertragenem Sinne.
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Da prallen Welten aufeinander und verstehen einander nicht. Interessant finde ich, dass die beiden immer noch miteinander befreundet sind. Das waren übrigens genau die Gründe, weshalb ich mich echt lange gegen WhatsApp gewehrt habe. Momentan bin ich ganz froh, dass ich es habe – und das Aufkommen an „Schrott“ hält sich echt in Grenzen.
Liebe Grüße, bin gespannt, was du alles vorhast, nachdem deine Teppiche nicht fliegen dürfen
Christiane 😀
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Inzwischen hat sogar meine Mutter WhatsApp, weil ihre Freundinnen sie letztendlich doch breitgeschlagen haben 😉 Ich wäre nicht auf diese Geschichte gekommen, wenn es nicht ein reales Vorbild gäbe – und anhand dessen wundere ich mich seit Jahren über den Fortbestand dieser Freundschaft, denn sie haben noch viel mehr Unstimmigkeiten. Diese haben sich aber so langsam und kaum merklich eingeschlichen, dass die viel zu geduldige und rücksichtsvolle Heide (nennen wir sie mal weiter so) über alles hinwegsieht und es einfach als Spinereien des Alters oder was auch immer abtut. Eine so lange währende Freundschaft wirft mensch anscheinend nicht leicht über den Haufen, auch wenn sie eher zur Belastung wird.
Ich hab schon Ideen, aber gespannt bin ich auch noch, inwieweit sich doch metaphorische oder halluzinierte fliegende Teppiche einschleichen werden ) Meine Ansage steht.
liebe Grüße
Lea
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Was für eine tolle frau, ich hätte sie gerne zur Freundin. Was bin ich genervt von all den bunten, lustigen Videos und dann all die Fotos der ägyptischen Großfamilie meiner besten Freundin. Toll geschrieben!
Lieben Gruß Ela
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Vielen Dank, liebe Ela! Vielleicht hat ja Heides reales Vorbild Lust auf Kontakt zu Dir 🙂 Ich frage sie mal.
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Gerne, danke! 😊
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